Spaniens Anarchisten vor Gericht

Der Aachener Prozess gegen Mitglieder der spanischen Anarchisten-Szene zieht viele Sympathisanten in den Gerichtssaal. Solidaritätsgruppen erklären die Angeklagten zu „sozialistischen Rebellen“

AUS AACHENMICHAEL KLARMANN

Ein seltsames Ritual zeichnet sich ab nach dem zweiten Prozesstag im Verfahren gegen drei spanische und einen belgischen Anarchisten. Denen wird Bankraub, versuchter Mord, Geiselnahme und andere Straftaten vorgeworfen – doch während sich die rund 40 Sympathisanten erheben, wenn die drei Hauptangeklagten den Gerichtssaal zu Verhandlungsbeginn und nach Pausen betreten, wird diesen stehend applaudiert. Beim Eintreten der Richter bleiben die Autonomen und Punks jedoch sitzen und die wenigen Zuhörer, die Mutter zweier Angeklagter sowie die vielen Polizisten in zivil und Uniform erheben sich.

Unter hohen Sicherheitsvorkehrungen begann der Prozess vergangenen Mittwoch vor dem Aachener Landgericht. Die Staatsanwaltschaft Aachen wirft dem 37-jährigen Gabriel P. und dem 44-jährigen Jose Fernandez D. vor, am 18. Juni 2004 eine Bank in Karlsruhe überfallen und dabei rund 30.000 Euro erbeutet zu haben. Nachdem sie Tage später die damals in Karlsruhe lebende Schwester des mutmaßlichen Rädelsführers, Begona P. (35), mitnahmen und im belgischen Gent Bart G. (26) abholten, hätten sie in Dresden weitere Banken und Waffengeschäfte überfallen wollen.

Dass es nicht dazu kam, liegt laut Anklage an einer Kontrolle durch den Bundesgrenzschutz (BGS) am 28. Juni 2004. Ein BGS-Beamter sagte am vergangenen Donnerstag aus, dabei seien er und seine Kollegen an einer Aachener Tankstelle plötzlich von D., später auch von Gabriel P. und G. mit Pistolen und Revolver bedroht worden. Ein Schuss sei gefallen. Die drei Männer hätten ein junges Ehepaar als Geiseln genommen. Begona P. habe man festnehmen können, so der Zeuge. Dann folgte das, was selbst einer der Strafverteidiger gegenüber der Presse als „kaum zu bestreiten“ umschrieb: eine Verfolgungsjagd quer durch das belebte Aachen mit Schüssen auf die Polizei. Bei einem Unfall wurde eine Seniorin verletzt. Als dann auch noch das Fluchtfahrzeug defekt liegen blieb, flohen die Geiseln. In einer kleinen Kfz-Werkstatt nahmen die Kidnapper erneut drei Geiseln. Angesichts des massiven Polizeiaufgebotes gaben sie schließlich auf.

Warum sympathisieren die aus Deutschland, Spanien, Belgien und den Niederlanden angereisten jungen Leute mit den „Geiselgangstern“ (WDR) und „Politkriminellen“ (Aachener Nachrichten) im „Terroristen-Prozess“ (Express)? Am Mittwoch wollten die Angeklagten sich nicht zu den Vorwürfen äußern, ihre Angaben zur eigenen Person waren spärlich. Auch die Staatsanwaltschaft hält sich zu den Biografien bedeckt. Laut Solidaritätsgruppen gehört jedoch Bart G. der „Anti-Repressionsgruppe Anarchist Black Cross“ an. Die beiden Spanier seien über Jahre inhaftiert gewesen und hätten gegen das auf die Franco-Diktatur fußende, „unmenschliche“ spanische Haftsystem gekämpft. P. soll zu „Knastrevolten“ aufgerufen haben. Beide seien „sozialistische Rebellen“ und hätten ihre Haft teils in Isolationstrakten verbüßt, heißt es.

Ob die angesetzten zwölf Prozesstage für das Verfahren ausreichen, dürfte seit Donnerstag ebenfalls fraglich sein. Schon den dritten Zeugen befragten die insgesamt sieben Strafverteidiger hartnäckig, um dessen für die Anklage wichtige Glaubwürdigkeit zu erschüttern. Beobachter glauben, sollte das Strategie sein, dann ist mit einem Urteil nicht wie geplant für den 4. Mai zu rechnen. Dessen ungeachtet sah sich Gabriel P. dennoch am zweiten Prozesstag zu einer Quasi-Aussage berufen: „Danke euch allen für euren Mut!“ rief er den ihm Zujubelnden nach einer Prozesspause in gebrochenem Deutsch zu. Mut deswegen, da bisher alle Besucher beim Passieren der Sicherheitsschleusen durch die Polizei abgefilmt und ihre Personalausweise kopiert wurden.

Die Verteidiger beantragten, das Gericht möge das Filmen und Kopieren zum kommenden Prozesstag am Mittwoch stoppen. Zudem wurde gefordert, dass die beiden Spanier im Prozess weder Fußfesseln tragen noch die Fahrten zum Gericht mit verschlossenen Augen und Ohren sowie mehrfach gefesselt ertragen müssten.