Brasilien macht Ernst: Raus mit dem IWF!

Weil sich die Wirtschaftsdaten unter dem linken Präsidenten Lula rapide verbessert haben, will das Land künftig auf Kredite aus Washington verzichten. Die Regierung verspricht, den bisherigen Sanierungskurs beizubehalten – trotz Kritik der Opposition

AUS PORTO ALEGREGERHARD DILGER

Brasilien braucht den Internationalen Währungsfonds nicht mehr. Ausgerechnet Lula, der Präsident, der als Linkskandidat vor drei Jahren noch als Schrecken der Finanzmärkte galt, darf zufrieden sein: Er steht nun als der Politiker da, der unter die langjährige, demütigende Abhängigkeit Brasiliens einen Schlussstrich gezogen hat. „Wenn wir heute dem IWF mitteilen, dass wir kein Abkommen mehr mit ihm abschließen wollen, dann tun wir dies als Regierung, die durch das Opfer des ganzen brasilianischen Volkes das Recht erobert hat, mit den eigenen Beinen zu gehen“, sagte Luiz Inácio Lula da Silva am Montag stolz.

Doch Anlass zu Jubel besteht nicht, das stellte Finanzminister Antonio Palocci klar: Man werde an dem bisherigen Sparkurs festhalten, versprach der Extrotzkist, der sich mittlerweile strikt an wirtschaftsliberale Programme hält. Glücklich sei er nicht, weil nun kein Abkommen mehr erforderlich sei, sondern „wegen der Entwicklung der brasilianischen Wirtschaft“.

In der Tat wirken die jüngsten makroökonomischen Zahlen imposant: Im Außenhandel erzielte Brasilien 2004 einen Rekordüberschuss von 34 Milliarden Dollar. Das Wirtschaftswachstum betrug 5,2 Prozent, die Industrieproduktion wuchs um 8,3 Prozent. Für die Bedienung der Auslandsschulden musste das Land 54 Prozent seiner Exporterlöse aufwenden, 2003 waren es noch 73 Prozent. Auch IWF-Direktor Rodrigo Rato und US-Finanzminister John Snow zeigten sich vorgestern „beeindruckt“.

Erleichtert ist man in Washington aber vor allem darüber, dass Brasilien seinen Schuldendienst anstandslos bedient: 41,8 Milliarden Dollar waren es letztes Jahr, das entspricht 7,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Doch der strikte Sparkurs zur Erwirtschaftung eines „Primärüberschusses“ von 30,4 Milliarden, mit dem die Regierung sogar noch über die IWF-Auflagen hinausging, reicht damit nicht einmal für die Zinsen. Die Inflationskontrolle durch die von der Zentralbank vorgeschriebene Hochzinspolitik bremst zudem die Expansion der Binnenwirtschaft und trägt zur Vergrößerung der Schuldenlast bei. So stehen die öffentlichen Haushalte noch immer mit 350 Milliarden Dollar in der Kreide, und für wichtige Sozialreformen fehlt das Geld.

Mit seiner jetzigen Entscheidung konnte Lula in sämtlichen Lagern punkten. Doch völlig konträr sind die Erwartungen an die weitere Politik: Während die Finanzmärkte und die brasilianischen Banken eine Fortsetzung des bisherigen Kurses wünschen, verlangen die meisten Unternehmer eine deutliche Zinssenkung und eine Abwertung der Landeswährung Real.

Auch Lulas Basis drängt immer ungeduldiger auf Korrekturen. Luiz Marinho vom Gewerkschaftsdachverband CUT hofft, dass die Regierung künftig stärker auf die Förderung von Investitionen und Einkommenssteigerungen achtet. Der IWF habe mit seinen Sparauflagen dringend notwendige Investitionen im Gesundheits-, Bildungs- und Wohnungssektor blockiert, sagt der Abgeordnete Carlito Merss von der Arbeiterpartei. Zudem sei die Anfälligkeit der Volkswirtschaft bei zukünftigen Turbulenzen keineswegs gebannt, kritisierte der Ökonom Reinaldo Gonçalves. Mit seiner vehementen Förderung des Agrobusiness etwa mache sich der Präsident zu sehr von instabilen Weltmarktpreisen abhängig.

Der Fonds ist in ganz Südamerika als Vormund aus Washington verhasst. Brasiliens Nachbar Argentinien etwa ist nach wie vor von IWF-Geldern abhängig. Dort verläuft kaum eine Demonstration, ohne dass „Raus mit dem IWF!“ gefordert wird.