Nicht handeln

Aus der Weltlichkeit in die Wälder: Die Kunsthalle Wien zeigt mit „Don’t worry, it will be better …“ Arbeiten des Schanghaier Videokünstlers Yang Fudong zwischen Melancholie und Rollenspiel

VON SUSANNE MESSMER

Sieben schöne junge Leute sitzen nackt auf einem Felsen. Jeder von ihnen lässt seinen Blick in eine andere Richtung schweifen. Dann ziehen sie sich wortlos ihre altmodischen Kleider an und gehen langsam los – weiter rauf auf den Berg, tiefer hinein in die schwarz-weiße, vernebelte und traumgleiche Landschaft. Aus dem Off spricht es wie im inneren Monolog. Die Leute erzählen, wie schwer es ist, bei sich zu bleiben und gleichzeitig den Eltern zu gehorchen.

Sie wirken schwermütig, diese jungen Figuren des 1971 geborenen und in Schanghai lebenden Videokünstlers Yang Fudong, dessen Werke unter dem Titel „Don’t Worry, It Will Be Better“ zurzeit in der Kunsthalle Wien ausgestellt sind. Und je öfter man die „Seven Intellectuals in Bamboo Forest“ – so der Titel der Arbeit aus dem Jahr 2003 – an sich vorüberziehen lässt, je länger man auf dem grob gezimmerten Podest im letzten Raum der Ausstellung ausruht, je mehr man sich von den schemenhaften Bildern, vom Duft nach frischem Holz und Harz und von der melodramatischen Musik des Komponisten Jin Wang bezirzen lässt, desto nostalgischer wird man auch. Hier, im China zwischen restriktiver Tradition, zwischen kommunistischem Drill und Turbokapitalismus gibt es sie also noch, die wahren Melancholiker. Und sie sind nicht nur einfach depressiv. Sie wollen noch was, denkt man, und fühlt sich an den rebellischen Ennui der europäischen Dandys und Dekadents erinnert, aber auch an die Todessehnsucht und den Eskapismus der Romantiker.

Yang Fudong produziert „Bilder des Herzens“, wie er sie selbst nennt, die niemals kitschig werden. So tieftraurig all die jungen Leute sind, die er auch in seinen anderen Arbeiten in den Mittelpunkt stellt, so sehr scheinen sie immer auch neben sich zu stehen. Auch die vielen Liebespaare, die Arbeitskollegen und die Spielkameraden in seinen anderen Arbeiten wirken oft wie aufgestellt, drapiert, ihre Posen manieriert oder albern. Egal, ob sie wie in der Videoinstallation „Flutter Flutter … Jasmine Jasmine“ (2002) auf dem zugigen Dach eines Schanghaier Hochhauses die Fragmente einer Sprache der Liebe durchbuchstabieren oder, wie in „Backyard – Hey, Sun is Rising!“ (2001), noch einmal slapstickartig auf kommunistische Gruppendynamik machen: Die Rollen, die hier gespielt werden, sind nie ganz zu füllen. Jede Insel im Dschungel der Großstadt, jede scheinbare Alternative zu Hierarchiedenken und Selbstdisziplin, zu Leistungsdruck und Konsumterror, entpuppt sich zu einem Teil auch als Klischee.

„Seven Intellectuals in Bamboo Forest“ ist die schimmerndste und stärkste Arbeit Yang Fudongs – nicht zufällig war sie in diesem Jahr schon in Gruppenausstellungen in Wolfsburg und München zu sehen. Im Katalog, der ebenso ansprechend reduziert und klar gestaltet ist wie die Ausstellung mit ihren nur sieben, dafür wunderbar luftig in Szene gesetzten Videoarbeiten, erfährt man mehr: Der gelernte Maler Yang Fudong bezieht sich mit seinem Interesse für die Natur nicht nur auf die traditionelle chinesische Tuschmalerei, bei der es nicht um die Abbildung der äußeren Wirklichkeit ging, sondern um den symbolischen Ausdruck von Ideen. Er zitiert die Geschichte der chinesischen Intelligenz vor ihrer Instrumentalisierung durch die Partei, spielt auf die Dreißigerjahre an, die Zeit vor der Ausrufung der Volksrepublik – und auf die Geschichte der Sieben Weisen aus dem Bambushain, die im 3. Jahrhundert vor Christus aus der Weltlichkeit in die Wälder flohen.

Indem Yang Fudong auf Rückzug und Versenkung baut und indem er selbst erklärt, sein Interesse gelte den dreißigjährigen Halbgebildeten, den „Minor Intellectuals“, wie er sie selbst nennt, legt er nahe: Wie viele Kreative seines Alters in China heute hat er den Taoismus als subversives Gegenprogramm zu Konfuzianismus, Kommunismus und Kapitalismus wiederentdeckt. Mit seinen besonderen Menschen, die nichts Besonderes tun, knüpft er an die taoistische Idee des Unscheinbaren, des Faden an, wie sie der französische Sinologe François Jullien so prägnant beschrieben hat. Die echten Weisen gestalten die Wirklichkeit, indem sie nicht handeln: Sie wirken durch ihr bloßes Dasein. Oder, mit Jullien: Anstatt einer Situation die Stirn zu bieten, gehen sie schräg vor.

Auf dem Weg an den Projektionen eigener Wahrheiten und ausgedachten Differenzen vorbei, fragt man sich also: Geht es vielleicht doch um viel mehr als um die wehmütige Erinnerung an die Melancholiker der westlichen Welt und ihre extravagantesten Anstrengungen, nicht im Trübsinn zu versinken? An die Melancholiker, die nicht immer genial waren, sondern auch psychosomatisch krank oder, besonders wenn sie weiblich waren, profan gelangweilt? Im zweiten Teil der auf fünf Teile angelegten „Seven Intellectuals“ aus dem Jahr 2004 jedenfalls treffen sich die sieben Intellektuellen in einem Haus wieder und leben ein müßiggängerisches, bohemistisches und hedonistisches Leben, lieben sich, baden zusammen oder liegen einfach nur herum. An die Stelle der Stille der Natur ist der Stillstand inmitten der großen Stadt getreten. Nur bei genauerem Hinsehen erkennt man das kostbare Mobiliar, den Luxus, in dem diese Leute leben. Sie scheinen nur kurz verzagt, zeigen sich dann selbstzufrieden und heiter. Man muss einsehen: Der Eingriff in die Geschichte ist dieser Generation nicht nur unmöglich geworden, sondern auch uninteressant. Und wenn man annimmt, dass man durch Nichthandeln mehr erreicht, dann ist der Rückzug eher Strategie als Flucht.

Bis 15. Mai., Kunsthalle Wien. Katalog 15 €