Viel Walter-Röhrlhaftes

Brillanz und Mittelmaß: Das neue Album von New Order, „Waiting For The Sirens’ Call“

VON RENÉ MARTENS

Walter Röhrl gilt als einer der erfolgreichsten Rallyefahrer aller Zeiten, und wie es sich für große Sportstars gehört, gibt es eine Klamottenkollektion unter seinem Namen. Hemden mit dem Schriftzug „W. Röhrl“ stellt adidas her, und ein blaues aus dieser Produktreihe trägt Peter Hook bei der Promofoto-Session für „Waiting For The Sirens’ Call“, das nunmehr achte Album von New Order. Weil die musikalische Entsprechung zu Walter Röhrl irgendwo zwischen Genesis und Dire Straits zu suchen wäre, tut es weh, Hook in so einem Hemd zu sehen – und sich auszumalen, er gebe womöglich etwas auf das „echte Motorsport-Flair“, das die Adidas-Werbung beschwört. Ausgerechnet er, einer der wichtigsten Bassisten des Erdballs. Seine Art, in den hohen Lagen des Basses Melodien zu spielen, die stets freundlich ins Zentrum eines Stücks vordringen, ist unverwechselbar, ihm sind unzählige Male Bassläufe gelungen, die dem Hörer im Gedächtnis geblieben sind wie sonst nur Refrains. Peter Hook ist übrigens mittlerweile 49 Jahre alt, aber das ist keine Entschuldigung, denn auch in diesem Alter darf man noch längst nicht alles.

Das Problem mit „Waiting For The Sirens’ Call“ ist, dass durchaus etwas Walter-Röhrlhaftes in der Platte steckt. Beschämend geradezu: das Stück „I Told You So“ mit seinem dorfdiskokompatiblem Reggae-Einschlag. Auch andere Versuche, sich Sounds anzueignen, die außerhalb des New-Order-Universums liegen, misslingen, wie etwa das flache „Jetstream“, bei dem eine von den Scissor Sisters mitsingt. Das ist indes weniger als die halbe Wahrheit, denn die Platte enthält auch schmissige Gitarrenpopsongs. Sie greifen die Aufbruchstimmung des Comebackalbums „Get Ready“ auf, das 2001 nach achtjähriger Pause erschien. Mit „Krafty“ gibt es sogar ein Stück, das das Zeug zum Bandklassiker hat, sowie mit „Guilt Is A Useless Emotion“ einen Gassenhauer für die Fitnessstudiobeschallung, bei dem New Order ihre typische Fähigkeit beweisen, ein Stück gerade noch vorm Umkippen ins allzu Billige zu bewahren.

Eine Haltung zu „Waiting For The Sirens Call“ einzunehmen, wird durch den Respekt vor der Geschichte der Band erschwert: Die erste große Leistung war es, 1980 aufzuerstehen aus den Ruinen der unvermindert einflussreichen Gruppe Joy Division, obwohl sich deren vermeintlicher Protagonist, der Sänger Ian Curtis, aufgehängt hatte. Mit „Blue Monday“ schrieben New Order 1983 ein Schlüsselstück der Popgeschichte: einen Dancefloor-Hit zwischen Post-New-Wave und Prä-Techno, der die Musikwelt umgewälzt hat wie „Anarchy in The UK“. Die Maxi hatte ein kongeniales Cover, nachempfunden dem Design einer Floppy Disc, Vorläufer der Diskette und damals der heiße neue Datenträger. 1987 lieferte ihre Single „True Faith“ die Vorlage für ein Video von Philippe Decoufle – das mit den Typen, die sich rhythmisch Backpfeifen verpassen, und der Schildkröte, die sich in Zeichensprache artikuliert –, einem Klassiker der Clipgeschichte. Durch ihre Plattenverkäufe sicherten New Order darüber hinaus lange die Existenz des Factory-Labels und des legendären Hacienda-Clubs.

Nicht zu vergessen, dass New Order zwischen 1983 und 1985 unter dem Namen Be Music Dance-Tracks produzierten für zu Unrecht vergessene bzw. niemals wahrgenommene Bands wie Section 25, Ouando Quango oder Thick Pigeon. Hinter dem Pseudonym Be Music verbarg sich mal Hook, mal Sänger Sumner, mal das bandinterne Ehepaar Steve Morris/Gilian Gilbert (sie ist mittlerweile ausgestiegen), und einige der Produktionen beweisen wie mancher New-Order-Hit, dass diese Typen in Sachen Underground Dance ihrer Zeit voraus waren.

Zwischendurch indes waren New Order auch immer mal wieder mittelmäßig, und insofern ist es auch kein Anlass für Ärger, dass „Waiting For The Sirens’ Call“ letztlich nur eine mittelmäßige Platte ist. Ungut beeinflusst wird die eigene Haltung von der bisherigen Rezeption der Platte: Oft kommt da eine Freude darüber zum Ausdruck, dass die alten Jungs es noch können, und so etwas klingt stets nach muffigem Gedankengut. Die Verwunderung darüber, dass der Sound so frisch ist, wird gern garniert mit dem Hinweis, dass Comebacks und Reunions bis vor einiger Zeit ja noch als kulturelle Kapitalverbrechen galten.

Dabei ist die Wahrheit profan: Sänger Bernard Sumner, auch er fast 50, sagte dem Spiegel, er sei Alkoholiker, aber seit Anfang der Neunzigerjahre trocken, und heute treibe er Sport, wenn er sich auf eine Tournee vorbereite. Unter allen Menschen, die heute auf die 50 zugehen, ist der Anteil jener, die rechtzeitig diese oder jene Sucht überwunden haben, viel größer als in vorigen Generationen, und Sport treibt in dieser Altersgruppe jeder, der Höchstleistungen vollbringen muss. So gesehen sind New Order nur ein Beispiel für jung gebliebene Alte, die in allen Bereichen der Gesellschaft auf sich aufmerksam machen. Dieses Phänomen wird uns wohl noch viele Durchschnittsplatten bescheren, die momentweise brillant sind.

New Order: „Waiting For The Sirens’ Call“ (London/WEA)