Methodisch beschränkt, aber cool

Kolossale Jugend: Andrés Wood erzählt in seinem Film „Machuca, mein Freund“ die Geschichte des chilenischen Putsches 1973 aus der Perspektive zweier Heranwachsender

Die St. Patrick School for Boys war einmal die beste Schule in Chile. In den frühen Siebzigerjahren wurde sie zunehmend „rot“, wie die Priester, die dieses Institut für die Söhne der Bourgeoisie leiteten. Father McEnroe wagt schließlich sogar einen ungewöhnlichen Schritt: Er lässt Schüler aus armen Familien zu.

So kommt der indigene Pedro Macucha in die St. Patrick School, und so entsteht seine Freundschaft mit Gonzalo Infante, einem sommersprossigen weißen Jungen aus guten Verhältnissen. Father McEnroe führt eben den gesellschaftlichen Widerspruch in die Schule ein, der im Mittelpunkt des Films „Macucha, mein Freund“ steht. 1973 führt dieser Widerspruch zu einem Putsch, den die Armee – mit Unterstützung der USA– gegen Salvador Allendes Linksregierung führte.

„Machuca, mein Freund“ von Andrés Wood ist das Epos dieser dramatischen Zeit aus der Perspektive von Heranwachsenden. Die Politik stellt sich für Machuca und Gonzalito unterschiedlich dar. Machuca (Ariel Mateluna) lebt in einem Elendsviertel am Rand der Stadt. Ins Zentrum kommt er nur, um bei den Aufmärschen der Allende-Anhänger Fähnchen zu verkaufen. Er folgt dabei Silvana, einem abenteuerlustigen Mädchen, das ein wenig älter ist. Der Besuch in der neuen Schule stellt Machuca anfangs vor Probleme: Sein Englisch ist dürftig. Er ist auf die Hilfe von Gonzalo angewiesen, der wiederum die Rüpelrituale seiner Klassenkameraden nicht mitmachen will. Gonzalo (Matías Quer) hat eine schöne, junge Mutter, die ein Verhältnis mit einem alten „Bonzen“ hat, während der Vater wenig Zeit für die Familie hat.

Machuca und Pedro sind Einzelgänger aus unterschiedlichen Gründen. Ihre Freundschaft entsteht aus einer Prügelei, bei der beide einstecken müssen. Sie wächst dann an den Unterschieden, die sie an den Lebensverhältnissen des jeweils anderen entdecken: hier die Comics, die Gonzalo geschenkt bekommt; dort das Flussufer, an dem sich Machuca herumtreibt. Silvana (Manuela Martelli) kokettiert mit beiden Jungen und provoziert sie zu ihrem ersten Zungenkuss.

Andrés Wood erzählt in „Machuca, mein Freund“ auch eine Popgeschichte des chilenischen Aufbruchs. Die Ära Allende besteht für ihn nicht nur aus Landreform und linker Agitation, sondern aus dem Versuch, sich die westliche Kultur anders anzueignen, als es der US-Imperialismus nahe legt. Staunend machen beide Jungen erste Erfahrungen mit der sexuellen Freiheit: die proletarische Laszivität von Silvana entspricht dabei der unbefangenen Intimität von Gonzalos Mutter. Auf einer Demonstration treffen beide Frauen aufeinander, und hier wird klar, dass die Freundschaft zwischen Machuca und Gonzalo sich nicht einfach über alle Widersprüche hinwegsetzen kann. „Machuca, mein Freund“ ist durchaus schematisch konstruiert, folgt also den dramaturgischen Gesetzen, die einen internationalen Festivalerfolg erleichtern: Andrés Wood setzt geschickt auf Popmusik und den radikalen Chic der Demonstranten. Die politischen Antagonismen erscheinen bei ihm vor allem ästhetisch codiert.

Die Bourgeoisie unterscheidet sich vom Volk durch einen anderen Stil und auch durch eine anders konnotierte Sexualität. Machuca und Gonzalo sind zu jung, um selbst schon eine andere Idee zu entwickeln – sie sehen an allem vor allem die Oberfläche. Andrés Wood kann deswegen einen „naiven“ Blick auf Chile anno 1973 werfen, weil es nicht um das Historische geht, sondern um adoleszente Subjektivität. „Machuca, mein Freund“ genießt diese methodische Beschränktheit etwas über Gebühr.

Ein einziger Moment erfasst dann doch noch die politische Radikalität dieser Zeit. Nicht zufällig hängt er mit der St. Patrick School zusammen, dem Ort, an dem alles zusammenläuft: Father McEnroe (Ernesto Malbrán) findet für seinen Abscheu gegen die Militärs eine Form des Protests, der zugleich religiös, magisch und anarchisch ist. Die Schüler begreifen erst hier den Ernst des Putsches, und der Film auch. BERT REBHANDL

„Machuca, mein Freund“. Regie: Andrés Wood. Mit Matías Quer, Ariel Mateluna u. a. Chile 2004, 120 Min.