Macheten für die Spannung

Völkermord, geschildert mit den effizienten Erzählmustern des Unterhaltungskinos: Der irische Regisseur Terry George belässt es in seinem Film „Hotel Ruanda“ nicht bei den Schrecken des Genozids, sondern sucht nach der positiven Wendung

VON CRISTINA NORD

Auf den Tag genau elf Jahre ist es her, dass in dem zentralafrikanischen Land Ruanda ein Völkermord begann, dem im Laufe von drei Monaten fast eine Million Tutsi und gemäßigte Hutu zum Opfer fielen. Angestachelt von der Hasspropaganda im Radiosender Mille Collines und ausgerüstet mit Macheten, verübten Hutu-Milizen die Massaker, ohne dass die internationale Gemeinschaft eingeschritten wäre. Im Gegenteil: Die Friedenstruppen der UN – sie waren mit einem Beobachtungsmandat ausgestattet – wurden zunächst sogar abgezogen. Die internationalen Medien beschrieben als Stammesfehden oder interethnische Konflikte, was ein Genozid war. Ähnlich fahrlässig agierte das US-amerikanische Außenministerium, das, um nicht eingreifen zu müssen, von „genozidähnlichen Handlungen“ sprach. Während der Gedenkfeiern im vergangenen Jahr sagte Kofi Annan: „Beim Genozid in Ruanda handelte es sich um das größte Versagen in der Geschichte der Vereinten Nationen.“

Der irische Drehbuchautor und Regisseur Terry George hat sich in seinem Spielfilm „Hotel Ruanda“ des Sujets angenommen. „Hotel Ruanda“ lief im offiziellen Programm der diesjährigen Berlinale, der Film war außerdem für drei Oscars nominiert. Anders als der Regisseur Raoul Peck, der seinen ebenfalls während der Berlinale gezeigten Ruanda-Spielfilm „Sometimes in April“ kaleidoskopartig anlegt, konzentriert sich George auf den Fall eines Mannes.

Paul Rusesabagina – heute ist er Speditionsunternehmer in Belgien – war 1994 Geschäftsführer des Hotels Mille Collines in Kigali. In der zunächst noch von internationalen Beobachtern, von UN-Gesandten und Journalisten bewohnten Hotelanlage gewährte er mehr als tausend Menschen Zuflucht. Nachdem die Ausländer das Land verlassen hatten, konnte er die Milizen abwehren, indem er sie bestach und bluffte, wo es nur ging.

Dass der Held von „Hotel Ruanda“ sein Vorbild in der Wirklichkeit hat, passt gut in den Trend zur true story. Zumal das Beispiel Paul Rusesabaginas lehrt: Mut und List eines Einzelnen sind imstande, etwas gegen die Todesmaschinerie auszurichten. In dieser erbaulichen Logik hat George seinen Film inszeniert. Anstatt den Völkermord abbilden zu wollen, rückt der Film die Bewusstseinsbildung, die Taten und den Mut Rusesabaginas (Don Cheadle) in den Vordergrund. So überlässt sich „Hotel Ruanda“ nicht dem Schrecken, sondern sucht nach der positiven Wendung. Die letzte Einstellung steht hierfür exemplarisch: Rusesabagina, seine Frau Tatiana (Sophie Okonedo), ihre Kinder und die von Tatianas Bruder gehen auf die Kamera zu. Es ist eine Familienvereinigung im milden Licht, hoffnungsfroh, dynamisch, freudig. Ein Happy End, wenn man so will – dass eine Million Menschen ermordet wurden, ist in diesem Augenblick zweitrangig.

Es gibt noch andere Momente, in denen Georges Inszenierung sich allzu sehr auf die dramaturgische Effizienz des Mainstreamkinos verlässt. An einer Stelle etwa scheint es möglich, dass die Milizen einen Konvoi passieren lassen. So könnten die Menschen aus dem Hotel zum Flughafen gelangen und das Land verlassen. Tatiana und die Kinder sind in dem Konvoi, Rusesabagina selbst entscheidet sich in letzter Sekunde, die im Hotel Verbliebenen nicht im Stich zu lassen. Doch bald stellt sich heraus, dass der Konvoi in einen Hinterhalt geraten wird. Während die Milizen die Wagen anhalten und stürmen, setzt Rusesabagina alles in Bewegung, um Tatiana zu retten. Das ist Suspense-Aufbau wie aus der Drehbuchschule: Wer ist schneller? Die Macheten, die im Close-up auf die Menschen rund um Tatiana niedergehen? Oder das Rettungsmanöver Rusesabaginas? Ein Unbehagen stellt sich ein, da die Hiebe der Waffen nur mehr den Effekt haben, dass man um Tatiana, um die vertraute Figur, bangt. Der Statist, auf den die Hiebe niedergehen, ist nur insofern relevant, als seine Anwesenheit den Schlag auf die Protagonistin aussetzt.

In einer anderen Szene – Rusesabagina kauft Lebensmittelvorräte bei einem Hutu-Milizionär – fährt die Kamera an in Verschlägen angeketteten, kaum bekleideten Frauen vorbei. Diese Frauen haben etwas von Dekor, und die Andeutung der sexuellen Gewalt rückt den Film für ein paar Einstellungen in die Nähe von Sexploitation. Etwas später wiederum findet George ein beeindruckendes Bild: Auf dem Rückweg zum Hotel fahren Rusesabagina und sein Begleiter über eine abgelegene Straße. Der Morgen dämmert, Nebel trübt die Sicht auf alles, was außerhalb der Fahrerkabine liegt. Plötzlich fängt der Jeep an zu ruckeln. Es dauert ein paar Augenblicke, dann ahnt man, warum: weil der Wagen über Leichen fährt. Anstatt es dabei zu belassen, zeigt George in einer der nächsten Einstellungen die toten Körper; damit macht er allzu offensichtlich, was in der Andeutung, in der Bewegung des Jeeps bereits enthalten war.

Vielleicht sind solche Einwände haarspalterisch, vielleicht sogar fundamentalistisch, insofern sie auf die Überzeugung bauen, angesichts eines Völkermords müssten die Mittel des Mainstreamkinos versagen. Dennoch bleibt ein Befremden, wenn der Schrecken dessen, was 1994 in Ruanda geschah, in den effizienten Erzählmustern des Unterhaltungskinos aufgehoben wird.