Quotenterror zerstört das Spartenfernsehen

Die taz nrw lud zum Podium über den Viva-Weggang: Landesregierung, Stadt Köln und Viva-Leitung blieben dem ersten Forum zur Musikfernsehkrise fern. Ignoranz und Quotenglaube hat auch das Clip-TV in die Gruft gebracht

KÖLN taz ■ Die Bayern spielten gegen Chelsea und die Sonne schien. Denkbar schlechte Voraussetzungen für eine Podiumsdiskussion – noch dazu über einen Scheintoten: den Kölner Musiksender Viva. Doch der Saal im Kölner Stadtgarten füllte sich am Vorabend des endgültigen Abgangs von Viva aus NRW nach Berlin und im Angesicht eines Totalumbaus auf dem deutschen Musikfernsehmarkt durch den US-Konzern Viacom. Denn der Frust sitzt tief.

Besonders Viva-Redakteur Stephan Faber schien dieses erste und einzige öffentliche Forum zur Situation des Musiksenders – die vierte Veranstaltung in der Reihe „taz nrw vor Ort“ – gefehlt zu haben. „Die kreativen Leute wurden verraten“, spielte er auf ehemalige Viva-Talente wie Stefan Raab an, deren Bindung zum Sender heute gleich null ist.

Die Stimmung bei Viva habe sich geändert, als die Firma in eine Aktiengesellschaft umgewandelt wurde, erinnerte sich Musikjournalist Faber. Von da an habe der nötige Freiraum gefehlt, um anspruchsvolle und ungewöhnliche Formate zu entwickeln. Auch seine eigene Hiphop-Sendung ist dem Quotenterror zum Opfer gefallen. Am Sonntag lief sie zum letzten Mal. „Dabei kann ich machen, was ich will. Die Sparte zieht eben nur ein Stammpublikum.“ Zu diesem Problem konnte die WDR-Rockpalast-Ikone Peter Rüchel ein schöne Anekdote erzählen. Sein Chef habe ihn Mitte der 80er gefragt, wie denn die Quote heute gewesen sei. „100 Prozent“, habe er geantwortet. „Alle, für die Rockmusik ein Lebensmittel ist, haben zugeguckt.“ Kurz darauf war der Rockpalast allerdings aus dem Programm.

Verständnis für eine solche Geschäftspolitik, speziell bei einem kommerziellen Sender wie Viva, äußerte taz-Autor Uh-Young Kim. Wenn zum Beispiel „Fast Forward“ tatsächlich nur noch 8.000 Zuschauer gehabt habe, wie es heiße, dann sei die Entscheidung, das Format zu kippen, durchaus nachvollziehbar.

Das Problem des Musik-TV scheint indes tiefer zu liegen. Und es scheint nicht nur ein Problem der Clipsender zu sein: Nicht die Musik stehe bei Viva und Konsorten im Vordergrund, sondern ihre Verwertung, machte WDR-Pensionär Rüchel klar. Die durchschnittliche Live-Qualität der Bands habe nicht zuletzt deshalb nachgelassen. Manche wollten nur noch ein paar Image gerechte Vorzeige-Songs übertragen lassen. Zudem finde eine „Entpersönlichung“ statt: „Es ist ein Skandal, dass jemand wie Alan Bangs in Deutschland keine Radiosendung hat.“ Die 24-jährige Milka Loff Fernandes, sieben Jahre war sie Viva-Moderatorin, stimmte zu: „Der Mensch ist raus aus dem Fernsehen.“

Inmitten der größten Krise, die das Musikfernsehen in Deutschland je gesehen hat, durften auch Seitenhiebe gegen die Mächtigen nicht fehlen. Auf die Frage von Moderator Steffen Grimberg, wie es mit dem Engagement der Landesregierung oder der Kommunikation mit der Geschäftsführung aussehe, antwortete Viva-Betriebsrat Thomas Diekmann lakonisch: „Man sieht ja: Es ist keiner gekommen.“ SEBASTIAN SEDLMAYR

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