Die Serientäterin

Gruppenbild mit hundert nackten Damen: Gestern präsentierte Vanessa Beecroft in der Neuen Nationalgalerie in Berlin ihre Performance VB55 – nichts Neues, dafür aber möglichst groß

Nein, das Bild von hundert nur mit einer Strumpfhose bekleideten Frauen überraschte nicht. Vanessa Beecroft ist schließlich ein Markenzeichen: Ihr Name sagt schon, was den Betrachter erwartet. Die 1969 in Genua geborene Künstlerin, die inzwischen auf Long Island lebt, engagiert junge Frauen, meist professionelle Models, die sie leicht bekleidet oder bis auf wenige Accessoires wie Stilettos, Perücken oder rasiertes Schamhaar ganz nackt in Museums- oder Galerieräumen gruppiert. Dort verharren die Frauen, die nach den Regeln der Künstlerin nicht reden, nicht lächeln und Blickkontakte meiden sollen, stehend bis zu drei Stunden. Wenn ihnen das nach einer Weile allzu schwer wird, dürfen sie sich auf den Boden setzen, sie sollen sich jedoch dabei nur langsam bewegen.

Diese Performances tragen die Initialen der Künstlerin sowie Nummern in chronologischer Folge. Inzwischen ist das Werkverzeichnis bei VB55 angelangt, der Performance, die gestern in der gläsernen Haupthalle der Neuen Nationalgalerie in Berlin zur Aufführung kam. Auch hier, wie schon im New Yorker Guggenheim Museum, der Kunsthalle Bielefeld oder der Londoner Gagosian Gallery, wird das Spektakel ein „Tableau Vivant“ genannt, das allerlei schwer wiegende Erkenntnisse evozieren soll. Und dazu Scham und Beklemmung. Die Frauen sollen sich schämen, die Künstlerin soll sich schämen und der voyeuristische Betrachter soll sich ebenfalls schämen.

Könnte es sein, dass der ein Mann ist? Dass seine Angst vor einer drohenden Erektion angesichts so viel geballter Weiblichkeit dieses ewige Mantra von der Scham hervorruft? Nun ja, solche Fragen sind wohl eher tabu. Auch auf der Pressekonferenz, auch für Sabine Flach vom Zentrum für Literaturforschung, das mit seiner Veranstaltungsreihe „Wissenskünste“ neben den Freunden der Nationalgalerie Mitveranstalter war. Thema der „Wissenskünste“ ist in diesem Jahr die Frage nach „Schönheit in Kunst und Wissenschaft“, und hierzu erhoffte man sich von der Performance letzten Aufschluss.

Tatsächlich informierte die dekorative Frauenaufstellung mehr über die Antiquiertheit der zeitgenössischen Kunst, in deren Ranking Vanessa Beecroft ganz oben steht. Öde ist schon der strikte Zusammenhang von Schönheit und, gar nackter, Weiblichkeit, den Beecroft herstellt; misslungen der symbolische Gestus, dass sie die Frauen nach ihren Haarfarben Schwarz, Rot und Gold(-blond) gruppierte. Dass die Modelle in Berlin gewöhnliche Frauen waren, deren Körper jenseits einer hautfarbenen Strumpfhose keinerlei fetischisierende Accessoires aufwiesen, machte die Referenz an den Ort der Aufführung, die deutsche Hauptstadt, nicht glücklicher. Naturbelassen deutsch? Schwarz-rot-gold-grün? Und: Bislang engagierte Beecroft höchstens 50 Frauen für eine Performance, jetzt waren es gleich 100 – ist dieser Gigantismus womöglich eine weitere Verbeugung vor der Hauptstadt und ihrem repräsentativen Kunstverständnis? Beecroft wie Berlin fällt zwar nichts Neues ein – aber das wenigstens richtig fett? BRIGITTE WERNEBURG