Die Macht der Liste

Ein Parlamentsausschuss debattiert über ein demokratischeres Wahlsystem für Bremen. Experten warnen: Alles Kumulieren und Panaschieren nützt nichts, wenn am Ende doch die Liste wieder siegt

aus Bremen Armin Simon

Es ist eine Frage der Gerechtigkeit. Der politischen Einflussmöglichkeit. Der Verständlichkeit. Der Demokratie.

Die Frage nach dem besten Wahlrecht ist aber auch eine Frage der Logistik. Der Wahlmaschinen. Der Auszähl-Geschwindigkeit. Eine Frage des Personals, des Portos und der Papiergröße. Gut einen Quadratmeter misst etwa der Wahlschein bei der Kommunalwahl in Frankfurt am Main. Rudolf Schulmeyer, Leiter des dortigen Bürgeramts Statistik und Wahl muss aufstehen, um ihn auseinander zu falten. „Sind unsere Wahlzettel auch bald soooo groß?“, fragte die Bremer Bild-Zeitung, eindeutig aversiv. CDUler teilten das Boulevardblatt gleich gleich stapelweise aus.

Eingeladen hat Schulmeyer und seine Kollegen aus Stuttgart, Hannover, Berlin und Rheinland-Pfalz der Wahlrechtsausschuss der Bremischen Bürgerschaft. Im Gegensatz zu Hamburg, wo die BürgerInnen selbst per Volksentscheid und gegen den erklärten Willen von CDU und SPD im letzten Jahr das Wahlrecht demokratisierten, haben im Zwei-Städte-Staat an der Weser die Parteien selbst die Sache in die Hand genommen. Bis Ende des Jahres soll der Ausschuss einen Vorschlag unterbreiten.

Arbeitsgrundlage der Bremer ParlamentarierInnen ist – vorerst – ein von Mehr Demokratie e.V. eingebrachter Gesetzentwurf. Der will den BremerInnen bei der Bürgerschaftswahl künftig zehn statt bisher einer Stimme zugestehen. Fünf davon sollen – über stadtweite Listen – die Anzahl der Mandate der einzelnen Parteien bestimmen. Die andere Hälfte soll der Wahl von jeweils vier bis sieben Direktkandidaten in neu zu schaffenden Wahlkreisen dienen. Ein System also, das grob dem der Bundestagswahl ähnelt. Mit zwei großen Unterschieden: Die Stimmen sollen sowohl zugunsten einzelner KandidatInnen und Parteien gehäufelt („kumuliert“), als auch querbeet auf verschiedene KandidatInnen und Parteien verteilt („panaschiert“) werden können. „One man, one vote“, sagt „Mehr Demokratie“-Vertreter Paul Tiefenbach, sei dagegen „ein Wahlrecht für Entwicklungsländer“.

Die Berichte der Experten allerdings sorgen eher für Ernüchterung. Zwar machen die WählerInnen in Stuttgart wie in Hannover, in Mainz wie in Frankfurt eifrig von ihren erweiterten Möglichkeiten Gebrauch und kommen selbst mit großformatigen Wahlzetteln offensichtlich klar. Zwar rutschen Kandidaten von ganz hinten auf der Liste bisweilen weit nach vorne, ist selbst den ersten zehn ihr Platz nicht mehr sicher. Zwar kommen alle Parteien, kleine mehr als große, in den Genuss von Stimmen parteifremder WählerInnen. Reale Auswirkungen auf die Mandate im Stadtrat hat all das aber eher wenig. Von 64 Hannoveraner Stadträten etwa verdankt genau einer sein Mandat dem Häufeln und Verteilen von Stimmen, in Frankfurt sind es zwei von 93. Lohnt der ganze Aufwand also nicht? Tiefenbach sagt: doch. Entscheidend sei, nach welchem Muster die vielen Kreuzchen schließlich ausgewertet würden. Im niedersächsischen Kommunalwahlrecht setzt sich dabei stets wieder die Liste durch. Wohingegen in Baden-Württemberg schon mal jeder sechste Sitz aufgrund der Stimmenhäufelei an jemand anderen vergeben wird, als bei simpler Wahl einer fixen Partei-Liste.