Schwänzen des Werteunterrichts verboten

Berliner Sonderweg: Alle Schüler sollen das konfessionsübergreifende Fach „Werte“ belegen, „Religion“ ist nur Zusatzfach. Das entschied die SPD-Basis auf ihrem Parteitag. Auch Grüne und PDS sind dafür. Die Berliner CDU will Verfassungsklage einreichen

Sie haben gepredigt und demonstriert, Vergleiche mit der Nazi-Zeit und der DDR bemüht, medienwirksame Unterrichtsbesuche absolviert und Unterschriften gesammelt. Genutzt hat es nichts. Trotz wochenlanger Proteste der Kirchen wird es in Berliner Schulen künftig ein staatliches Wertefach für alle Kinder geben – und zwar ohne die Möglichkeit, sich zugunsten von Religionsunterricht abzumelden.

Das hat der Landesparteitag der SPD am Samstag mit großer Mehrheit beschlossen. Weil der Koalitionspartner PDS und auch die Grünen für den verpflichtenden Werteunterricht sind, gilt die parlamentarische Mehrheit als gesichert.

Alle Kinder, gleich welchen kulturellen oder religiösen Hintergrunds, sollen sich dann gemeinsam über verschiedene Religionen und Lebensentwürfe, über Werte und Menschenrechte verständigen. An weiterführenden Schulen nimmt gerade ein Fünftel aller Berliner SchülerInnen am Religionsunterricht teil.

Der SPD-Parteitag sprach sich zudem langfristig für die Einführung der Gemeinschaftsschule bis zur 10. Klasse und für kostenfreie Kitas aus, allerdings ohne konkrete Schritte festzulegen.

Für die Einführung des Werteunterrichts steht der Fahrplan allerdings fest: Das neue Fach soll bereits im Schuljahr 2006/2007 erstmals unterrichtet werden. Zusätzlich können die SchülerInnen dann noch den Religionsunterricht besuchen.

Hitzige Debatten, ob alle Kinder teilnehmen, oder diejenigen, welche bereits Religion belegen, sich abmelden dürfen, gingen dem Parteitag in den letzten Wochen voraus und spalteten auch die Genossen. Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) sprach sich für ein gemeinsames Wertefach aus. Gerade in einer multikulturellen Stadt wie Berlin mit rund 440.000 Ausländern sei es wichtig, dass sich alle Schülerinnen und Schüler gemeinsam über grundlegende Werte austauschen: „Vielfalt ist angesagt und nicht Separation.“

Damit positionierte sich Wowereit klar gegen Berlins SPD-Bildungssenator Klaus Böger, der für Religion als Wahlalternative stritt. Unterstützung erhielt Böger von Bundestagspräsident Wolfgang Thierse und Ex-Familienministerin Christine Bergmann.

Hintergrund der Debatte ist eine Sonderregelung, die in Berlin und Bremen gilt. Nach der so genannten Bremer Klausel im Grundgesetz ist Religion in Berlin kein ordentliches Unterrichtsfach, sondern lediglich ein freiwilliges Angebot. Die SchülerInnen können dem bekenntnisorientierten Unterricht also auch fernbleiben, den verschiedene Religionsgemeinschaften und der Humanistische Verband in weitgehend eigener Verantwortung anbieten.

Neuen Zündstoff erhielt die langjährige Diskussion, nachdem sich die umstrittene Islamische Föderation vor Gericht das Recht erstritt, in den Schulen islamischen Religionsunterricht anzubieten.

Erwartungsgemäß stößt die Entscheidung der SPD auf scharfe Kritik bei den Kirchen und der Union. Als „schreckliche Fehlentwicklung“ kritisierte Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU) den SPD-Beschluss. Die Berliner Christdemokraten haben bereits angekündigt, vor dem Bundesverfassungsgericht zu klagen. Auch die Kirchen erwägen rechtliche Schritte. Zahlreiche juristische Gutachter gehen aber davon aus, dass das neue Fach – wegen der Bremer Klausel – vor Gericht standhalten wird. SABINE AM ORDE

meinung und diskussion, SEITE 11