Schöner Fälschen mit Tony Blair

Ein Skandal um Fälschungsmöglichkeiten bei der Briefwahl überschattet Großbritanniens Wahlkampf. Richter sprechen von einer „Schande selbst für eine Bananenrepublik“. Labour ignorierte das Problem bisher – aber jetzt ist es zu spät

DUBLIN taz ■ Wahlbetrug in Großbritannien muss aufhören, versprach die britische Regierung am Wochenende – allerdings erst nach den Parlamentswahlen am 5. Mai. Zwei Richter hatten vorige Woche festgestellt, dass das britische Briefwahlsystem geradezu eine Einladung an Wahlfälscher sei. Die Labour-Regierung hat die Briefwahl im Jahr 2000 vereinfacht, um die Wahlbeteiligung zu erhöhen. Bis dahin mussten Wähler nachweisen, dass sie nicht persönlich wählen konnten. Seit 2000 kann jeder ohne Angabe von Gründen die Briefwahl beantragen und muss nicht einmal beweisen, dass er derjenige ist, für den er den Antrag stellt.

Sechs Labour-Stadträte aus Birmingham haben sich auf diese Weise bei den Kommunalwahlen 2004 des Wahlbetrugs schuldig gemacht, befand Richter Richard Mawrey letzte Woche. Er erklärte die Wahl für ungültig. Mawrey sagte, die Labour-Männer hätten sich der Stimmzettel durch Unterschriftenfälschung, Diebstahl und Bestechung bemächtigt. Postboten wurden bezahlt, damit sie säckeweise ausgefüllte Briefwahlstimmen an Parteiaktivisten übergaben. Kinder erhielten Geld dafür, dass sie nicht ausgefüllte Briefwahlstimmzettel aus Briefkästen stahlen. Die Wahlbeteiligung im fraglichen Bezirk Aston stieg damals um 350 Prozent.

Die Polizei spielte bei der Sache keine rühmliche Rolle. Als damals vier Polizeibeamte eine leer stehende Lagerhalle in Birmingham stürmten, fanden sie die Labour-Kandidaten für Aston vor einem großen Stapel von Stimmzetteln. Manche waren bereits ausgefüllt, andere waren noch leer. Merkwürdigerweise schöpften die Beamten keinen Verdacht. Sie ließen sich von den Labour-Politikern bloß eine Liste der Briefwähler geben, zogen ab und überprüften die Identität der Leute auf der Liste. Die 275 Stimmzettel wurden später von der Partei dem Wahlbeamten übergeben und zählten als korrekt abgegebene Stimmen.

Mawrey sagte, diese Art und Weise des Wahlbetrugs wäre selbst für eine Bananenrepublik eine Schande. Die Regierung leugne das Ausmaß der Betrugsmöglichkeiten, fügte er hinzu. Nick Raynsford, Staatssekretär für Kommunalverwaltungen, beschuldigte den Richter dagegen der selektiven Wahrnehmung. „Man kann von diesem Einzelfall nicht auf acht Millionen Briefwähler schließen“, sagte er.

Es ist aber gar kein Einzelfall. Am Freitag wurde der ehemalige Labour-Stadtrat Muhammed Hussain zu einer Gefängnisstrafe von drei Jahren und sieben Monaten verurteilt, weil er in seinem Wahlkreis Blackburn in Lancashire mindestens 233 Briefwahlstimmzettel gefälscht hat. Das hatte dem 61-Jährigen zum Wahlsieg bei den Kommunalwahlen 2002 gereicht.

Die Prozesse von Birmingham und Blackburn gelten als Testfälle, denn weitere Beschwerden liegen aus vielen Landesteilen vor. Unter anderem geht es darum, dass Labour-Aktivisten Briefwähler besuchen und dazu überreden, ihnen ihre unausgefüllten Stimmzettel zu überlassen.

Monatelang ignorierte die Regierung die Beschwerden und lehnte sogar einen Vorschlag der britischen Wahlkommission ab, wonach Briefwahlanträge mit einer Unterschrift versehen sein sollten, die dann mit der Unterschrift unter der Briefwahlstimme abgeglichen werden sollte. Erst am Wochenende räumte Premierminister Tony Blair ein: „Die Briefwahl ist für Betrug anfälliger als andere Arten der Stimmabgabe.“ Für die Wahlen am 5. Mai hat die Regierung deshalb nun zehn Millionen Pfund locker gemacht, um mehr Wahlbeamte einzustellen, die die Briefwahl überwachen sollen. Rund 15 Prozent der Stimmen werden diesmal wohl per Post abgegeben.

Aber erst nach den Wahlen will die Regierung ein Gesetz verabschieden, das es unter Strafe stellt, in betrügerischer Absicht einen Antrag auf Briefwahl zu stellen. Außerdem sollen Listen von Briefwählern veröffentlicht werden, damit jeder überprüfen kann, ob ein Betrüger in seinem Namen einen Antrag auf Briefwahl gestellt hat.

„Das ist zu wenig zu spät“, sagte Ed Davey von den Liberalen Demokraten. „Darüber hinaus ist es ein Eingeständnis, dass die Briefwahlstimmen bei dieser Wahl gefälscht werden können.“ Sein Parteikollege John Hemming, Stadtrat in Birmingham, hat sogar Klage eingereicht. Falls das System nicht bis zum 5. Mail reformiert wird, will Hemming durchsetzen, dass die Wahlen verschoben werden.

RALF SOTSCHECK