Der Glamour und sein Meister

Von Twiggy bis Johnny Weissmuller, von Camus bis Warhol, von Marilyn Monroe bis Mick Jagger: Er hatte sie alle vor der Kamera. Das Kunstmuseum Wolfsburg zeigt Porträts des Fotografen Cecil Beaton – der Schönheit nicht nur dokumentiert, sondern die moderne Vorstellung von ihr mitgeschaffen hat

Leisure Class? Cecil Beatons Porträts stilisieren die Promis zur hedonistischen Pleasure Class

VON ANNETTE JAHN

Er war stets dort, wo das Leben pulsierte. Stars und Sternchen umgaben ihn, Leinwandgrößen und die, die sich anschickten es zu werden, dazu Dichter und Denker, Exzentriker, Künstler und schräge Vögel. Er hatte sie alle vor seiner Kamera – von Edith Sitwell bis Twiggy, von Johnny Weissmuller bis Mick Jagger, von Camus bis Warhol. Er suchte sie, setzte sie in Szene, arrangierte sie zu gottgleichen Wesen, ließ ihre Haut zur Landschaft werden und machte sie unerreichbar schön. Cecil Beaton (1904–1980) war ein Multitalent. Er war nicht nur Fotograf, sondern auch Bühnen- und Kostümbildner, Zeichner, Schriftsteller, Schauspieler und bissig-sarkastischer Chronist seiner Zeit.

Die Werke dieses wohl bedeutendsten britischen Fotografen des 20. Jahrhunderts, der schon 1915 im Alter von 11 Jahren zu fotografieren begann und 1927 mit gerade mal 23 von der Vogue unter Vertrag genommen wurde, sind dabei weitaus bekannter als sein Name. Seine Porträts hat jeder schon einmal gesehen, seine Aufnahmen von Maria Callas, die Buchdeckel zieren und CD-Cover, von Audrey Hepburn, Greta Garbo oder Marilyn Monroe. Seine Bücher, Monografien oder Ausstellungskataloge sind bislang jedoch nur in englischer Sprache erhältlich – und auch größere Ausstellungen gab es zuletzt gerade mal zwei: eine zwölf Jahre vor seinem Tod, die andere sechs Jahre danach, beide in London.

Doch anlässlich seines hundertsten Geburtstags im vergangenen Jahr organisierte die National Portrait Gallery London eine umfangreiche Ausstellung, die nun auch im Kunstmuseum Wolfsburg zu sehen ist: Über 100 seiner insgesamt rund 2.000 Porträts werden hier präsentiert, dazu Schnappschüsse, Zeichnungen, Entwürfe – und die von Beaton ausgestattete Musical-Verfilmung „Gigi“. Die aufwändig, gewissenhaft und liebevoll ausgestattete Schau teilt sein Werk in fünf Phasen: von den Mode- und Gesellschaftsfotos der Zwanzigerjahre für The Sketch, Tatler, Eve und Vogue über seine Wanderjahre durch England, den Nahen und Fernen Osten als Kriegsfotograf und schließlich als offizieller Hoffotograf des Englischen Königshauses bis hin zu den rastlosen Fünfziger- und Sechzigerjahren, in denen die großartigen Porträts der neuen Generation von Filmschauspielerinnen entstanden (unter anderem für Harper’s Bazaar) und er zwei Oscars für seine Kostüm- und Produktionsdesigns ergatterte; als letzte Phase schließlich die Siebzigerjahre, die geprägt waren von jungen Künstlern, Designern und Models – und gesundheitlichen Problemen. Denn 1974 hatte Beaton einen schweren Schlaganfall erlitten. Trotz seiner halbseitigen Lähmung gelang es ihm nach und nach wieder zu malen und zu zeichnen. 1977 schließlich wandte er sich wieder der Fotografie zu und schuf in den letzten drei Jahren seines Lebens beeindruckende Portfolios von Mode-Designern und internationalen Stars.

Auf dem farbigen Untergrund der Wände in Wolfsburg sind Cecil Beatons Vintages zu sehen, also die von ihm autorisierten und teilweise signierten Originalabzüge seiner Porträts. Darunter klärt jeweils eine kleine Tafel – die im Katalog leider fehlt – über Person und Begleitumstände des Shootings auf. So wird der Ausstellungsbesuch zu einer Reise in das kulturelle Leben des vergangenen Jahrhunderts und in das von Klatsch und Tratsch genährte Beziehungsgeflecht der Promis, die Beaton als „Pleasure Class“ zum hedonistisch-aufgekratzten Gegenentwurf der „Leisure Class“ des Ökonomen Thorstein Veblen stilisierte.

Auf den ersten Blick mögen die kleinformatigen Vintages heute enttäuschen – die meisten sind sogar kleiner als ihre Abbildung im Katalog –, ihre Farben erscheinen bräunlich-grau, oftmals kontrastlos, und allzu offensichtlich ist die Nachbearbeitung per Retusche: Auf den zweiten Blick erkennt man aber ohne weiteres, dass Beaton Schönheit nicht nur dokumentiert, sondern unsere moderne Vorstellung von ihr mitgeschaffen hat. Indem Beaton Ausstattung, Kostüm und Pose so abzustimmen und in Licht und Schatten zu kleiden wusste, dass er den Charakter der Modelle auf unvergleichliche Weise hervorlockte und überhöhte, zeigte er den Weg auf, der zur heutigen, absolut durchgestylten Star-, Glamour- und Modefotografie führte.

Es muss als eine mutige und konsequente Entscheidung sowohl von Terence Pepper von der National Portrait Gallery in London wie auch von Annelie Lütgens in Wolfsburg bezeichnet werden, dass sie dem zweiten Blick des Betrachters vertrauen und ihm die alten Originalaufnahmen zeigen – wo es doch ein Leichtes gewesen wäre, große und eindrucksvollere Abzüge auszustellen. Diese Entscheidung – mit dem Risiko der Erwartungsenttäuschung – zeugt nicht nur von der Verpflichtung gegenüber Beatons großem Werk, sondern auch gegenüber dessen historischer Würde. Sie geht damit weit über den schönen Schein hinaus.

Bis 24. Juli, Katalog (Hatje Cantz Verlag) 28 €