Demütige Spiralen nach unten

Briefe aus Bangladesch (3): Ein Ausflug zum Dalai Lama – inklusive Schal-Attacke und Jim-Morrison-Ebenbilder

Ein Fundstück für die Sammlung wundersamer Visavorschriften: Wer mit dem Flugzeug nach Bangladesch kommt, darf nicht mit dem Bus wieder raus. Man braucht ein „change of route permit“. Diese Erlaubnis erteilt das Department of Passports and Immigration in Dhaka – wenn man Glück und viel Geduld hat. Meine Geduld endet in einem Warteraum der Behörde, als mir auf die Frage, ob ich an der richtigen Stelle warte, ein Beamter die Tür vor der Nase zuknallt.

Also wieder zum Flughafen. In der Wartehalle ein Plakat: „Wenn du im Ausland bist, sei stolz, Bangladescher zu sein“. Früher hießen die Leute im Gebiet von Bangladesch Bengalen. Nach der Unabhängigkeit des Landes 1971 bestimmte die Regierung, es solle nun „Bangladescher“ heißen – um die Identifikation mit dem neuen Staat zu zeigen.

Im Ausland ist man in einer guten Stunde, wenn man nach Indien fliegt. Nach zwei Tagen in Kalkutta und einer Fahrt mit dem Nachtzug komme ich in Bodhgaya an. Hier wurde Buddha erleuchtet unter einem Bodhi-Baum. Dort, wo der Baum stand, steht heute ein großer Tempel. Ich bin vielleicht eine halbe Stunde da, müde und orientierungslos, da treffe ich den Dalai Lama. Vor ihm geht ein Mönch mit einem goldenen Helm, der ein bisschen so aussieht wie die Römerhelme bei Asterix, links und rechts drängen sich Pilger, um einen Gebetsschal übergeworfen zu bekommen. Ich muss an Klaus Kinkel denken und seinen Versuch, der Dalai-Lama-Schal-Attacke auszuweichen – ich glaube, aus Angst vor Ärger mit China.

Ein Tag, der mit Kinkel anfängt, kann besser werden. Aber nicht immer: Beim Frühstück sitze ich mit Amis und Kanadiern, die auch alle so Dalai-mäßig ihre breiten Wollschals über nur eine Schulter geworfen haben. Ist das nicht kalt?, wollte ich immer mal fragen – doch ich bezweifle, dass ich eine brauchbare Antwort bekommen hätte. Der Kanadier nämlich erklärt nicht ohne Stolz, dass er auf die Frage, wo er herkomme, stets antworte: „Now“. Denn wir alle seien nur wirklich im Jetzt, nicht im Vorher oder Nachher; die Frage, wo man herkommt, sei also völlig sinnlos. Ich will schon fragen, ob das eine Show für mich Neuankömmling sei, da erzählt ein junger Jim-Morrison-like-Ami von irgendwelchen Meditationsbildern, die er gemalt habe, und, really amazing, es sei eine Spirale nach unten herausgekommen.

„That is interesting“, sagt daraufhin der Kanadier, jedes Wort betonend, voll Anerkennung, um dann aber mit einem „but now listen to this“ einzuleiten, dass er diese schon ziemlich unglaubliche Geschichte durchaus zu toppen imstande sei.

But now listen to this: Man müsse sich nämlich mal vorstellen, dass es auch eine zweite Spirale gebe, die aber nach oben führt: „Im Moment bin ich in einem Stadium, wo ich merke, dass es für jede Sache im Universum eine Entsprechung auf der Gegenseite gibt, und das ist eine sehr wichtige Sache für mich.“

Das Beängstigende: Fast alle Westler in Bodhgaya sehen so aus, als ob sie genau das Gleiche sagen würden. Sie tragen eigenartige Beingewänder und Sandalen mit Socken, hüllen sich asymmetrisch in Wollwebkram und haben dieses Kirchentagsleuchten in den Augen.

Im Grunde ist mir das alles völlig unerklärlich. Genauso wie die Gebetstechnik, bei der sich die Leute vor einem heiligen Stein niederwerfen, auf speziellen Handkissen nach vorne rutschen, eine Art Liegestütze vollführen und sich dann wieder aufrichten – besonders schön bei einer Westfrau, unter deren weißer Ballonhose mit jeder Liegestütze ihr rosa Slip ein Stückchen weiter hervorschaute. Hey, hey.

Das Ganze dient dazu, die Seele zu reinigen, erklärt mir ein Mönch namens Laxo. Sein Lehrer hat ihm aufgetragen, sich 500.000-mal auf die Erde zu werfen – an guten Tagen, wenn er zehn Stunden durchhält, schafft er 3.000 solcher Demutsgesten.

Der Dalai Lama hat Recht: Nicht jeder muss in diesem Leben Buddhist werden. Hat er mal gesagt. Mann, und ich habe jetzt ein Foto von ihm! Ist aber unscharf. JOCHEN NEUMEYER

Jochen Neumeyer ist Schriftsteller und Journalist; zuletzt erschien bei Suhrkamp sein Roman „Sommerstarre“