Ein Philosophenstreit

Schopenhauer ging mit Hegeln Eines schönen Abends kegeln.

Hegel tat den ersten Stoß, Und die Kugel rollte los,

Traf ihr Ziel mit lautem Krach, Alle neune lagen flach.

Schopenhauer suchte nun Rasch es Hegel nachzutun;

Seine Kugel freilich rollte Ganz und gar nicht, wie sie sollte:

Alle Kegel blieben stehen, So als wäre nichts geschehen.

Doch was das Fatalste war, War des Gegners Kommentar;

Hegel sprach: „So ist das Leben, Knapp vorbei ist auch daneben.“

Schopenhauer, leicht pikiert, Hat mit Schweigen reagiert.

Doch sein zweiter Kegelball Brachte wieder nichts zu Fall.

Hegel feixte: „Junger Mann, Auf den Willen kommt es an!“

Schopenhauer, fahl wie Asche, Ballt’ die Fäuste in der Tasche.

Freilich, auch beim dritten Mal War sein Misserfolg total.

Hegel sagte nichts. Doch dann Fing er laut zu kichern an.

Schopenhauer, tief gekränkt, Brummte nur: „Geschenkt, geschenkt.“

So vergingen viele Stunden, Und nach fünfzehn Kegelrunden

Führte Hegel zwölf zu drei. Lächelnd sprach er noch dabei:

„Dieses ist nicht ungewöhnlich, Denn der Weltgeist höchstpersönlich

Führt mir schon seit je die Hand, Daher bin ich so brillant.

Nichts für ungut, junger Mann, Jeder spielt so gut er kann.“

Schopenhauer, rot vor Wut, Packte hastig seinen Hut.

Später dann, allein zu Haus, Ließ er seinen Ärger raus,

Und er brüllte: „Dieser Hegel! Dieser Flachkopf, dieser Flegel!

Diese rohe Biervisage Bringt den klügsten Kopf in Rage!

Überhaupt, das Kegelspiel! Töricht! Albern! Infantil!

Weltgeist! Wenn ich das schon höre! Warte, Hegelchen, ich schwöre,

Über deine Dreistigkeit Gebe ich der Welt Bescheid!“

Also schäumte Schopenhauer; Ja, sein Ton, der war ein rauer.

Früh am Morgen, mit der Feder, Zog er dann erst recht vom Leder.

Wer es nachliest, wird bemerken, Dass in Schopenhauers Werken

Hegel und das Kegelschießen Wenig Sympathie genießen.

CHRISTIAN MAINTZ