Die Achse des Indie-Rock – von Arno Frank

Aus heiterem Himmel

Wenn ausnahmsweise mal nicht aus kommerzieller Berechnung großer Plattenfirmen, sondern aus heiterem Himmel junge Menschen Musik machen, die andere junge Menschen zum Fingerschnippen, Tanzen, Lachen, Lieben oder Heulen bringt, dann ist das „the big thing“. Wer sich jetzt nicht rechtzeitig auf dem Klo eingeschlossen hat, der wird von den großen Plattenfirmen unter Vertrag genommen und in die Armee der Klone eingereiht, die den Markt von hinten aufrollen soll. Das „next big thing“ aber braucht heitere Himmel, unter denen es aufblühen und den Duft verströmen kann, für den Berechnungsmaschinen keine Sensoren haben – wie Arcade Fire mit ihrem Debüt „Funeral“.

Die Gruppe um das Ehepaar Win Butler und Régine Chassagne siedelt im kanadischen Underground, der sich langsam zu beschleunigen scheint, vom Zeitlupenrock von Godspeed You Black Emperor! über die versponnenen Broken Social Scene bis zum berauschenden Pop auf dieser Platte. Suiten gibt es hier („Neighborhood“ Teil 1 bis 4), die als einsame Melodie auf dem Klavier beginnen und als melodramatische Hymnen auf Ecstasy enden. Es gibt verschmustes Glockenspiel und bissige Gitarren, träge Streicher und stampfende Rhythmen. Und es gibt diese brüchige, intime, kippende Stimme, die von juveniler Vorstadtverzweiflung und Sehnsucht erzählt, wenn sich nachts im Winter die Eltern streiten, aber das macht nichts, denn wenn nur genug Schnee fällt, „then I’ll dig a tunnel from my window to yours“.

Arcade Fire: „Funeral“ (Rough Trade)

Unter der Sonne weitermachen

Würden wir wohl heute von Nirvana als Indie-Ikonen sprechen, wenn auf dem Cover von „Nevermind“ nicht dieses Baby nach dem Dollarschein am Haken tauchen würde? Ist nicht vielleicht sogar alles, wofür Nirvana standen und wogegen sie sich in brüllender Wut auflehnten, ganz still in diesem schlauen Bild bereits gesagt? Es tut genialem Pop ganz gut, wenn er in einem kongenialen Cover steckt, das die Musik um einen optischen Impuls erweitert.

Auf seinem Debüt, „Lapalco“, ist ein leicht verwackeltes Foto von Brendan Benson zu sehen, als wär’s ein echter Schnappschuss, aufgenommen von schräg oben, wie er sich gerade über einem Teller Spaghetti die Finger leckt. Diese wenig vorteilhafte Pose ist vielleicht der letzte Widerhall seiner Punk-Phase, von der der Junge aus Detroit selbst sagt: „Punk hat mich nicht beeinflusst, er hat mir nur dabei geholfen, die Gitarre in die Hand zu nehmen.“

Was er damit anstellt, zumal seit seinem Umzug ins sonnige Los Angeles, ist federnder Indie-Pop im Stil der Neunzigerjahre, sonniger Sixties-Rock im Stil der Thrills und klassisches, gerne auch ins Melodische abdriftendes Singer/Songwritertum. Helle Lieder, denen das nötige Quäntchen Dunkelheit beigemischt ist, Songs wie „Always Be Good To Me“, das die White Stripes als B-Seite ihrer Durchbruchsingle „Seven Nation Army“ coverten. So ein Typ ist das, der macht mit einem neuen Album einfach weiter und macht es so gut, dass es sich ein ödes Cover leisten kann.

Brendan Benson: „The Alternative To Love“ (V2)

Mädchen zum Tanzen bringen

Alex Kapranos von den schottischen Überfliegern Franz Ferdinand hat zwei schöne Definitionen geliefert – eine über die Musik, eine über das Wesen dieses seltsamen Genres, das heute mit „Indie“ nur noch nebulös umschrieben ist. Er wolle Musik machen, so Kapranos, die „Mädchen zum Tanzen bringt“. Und Indie sei, bei Künstlern wie Plattenfirmen, nichts anderes als „Leidenschaft für gute Musik“. Womit wir bei Bloc Party wären, die von Alex Kapranos entdeckt wurden und inzwischen, mit „Helicopter“ und „Banquet“, gleich zwei Single-Hits einem Album vorausgeschickt haben, das alle Erwartungen, na ja, übertrifft.

Gäbe es in der Musik einen „unique selling point“, der nicht in erster Linie mit Musik zu tun hat, dann wäre das in diesem Fall die Hautfarbe von Kele Okereke. Denn ein schwarzer Sänger im Indie-Pop ist ungefähr so üblich wie ein weißer Sänger im Soul – also gar nicht, auch wenn sich die Szene gerne ihre Liberalität zugute hält. „Silent Alarm“ stürmt dicht und drängend vorwärts, elektronische Verfremdungen kommen sparsam zum Einsatz und kosten kein Tempo, allein das Schlagzeug gefällt sich bisweilen in wenig zielführenden, weil angejazzten Eitelkeiten. Macht aber nichts, weil die Melodien so zwingend und zündend sind, dass der Rhythmus nicht immer mitmuss. Wem die Wartezeit auf das nächste Album von Franz Ferdinand zu lang wird, der sollte in „Silent Alarm“ wenigstens mal reinhören – er wird aber womöglich nach wenigen Takten nicht mehr wissen wollen, wer Franz Ferdinand eigentlich war. Irgendein Thronfolger, oder?

Bloc Party: „Silent Alarm“ (V 2)