Wenn Identität stiften geht

Die Ausstellung „Bauen“ im Jüdischen Museum Berlin widmet sich der jüdischen Identität in der zeitgenössischen Architektur – tatsächlich präsentiert sie aber so viele Baustile wie Architekten

VON RONALD BERG

Was haben so namhafte, aber auch unterschiedliche Architekten wie Frank O. Gehry, Mario Botta oder Daniel Libeskind gemeinsam? Was verbindet so unterschiedliche Bautypen wie ein Museum, eine Gedenkstätte oder ein Bethaus? Antwort: Sie stiften jüdische Identität. So lautet jedenfalls die Generalthese der beiden Kuratoren der Ausstellung „Bauen“ im Jüdischen Museum Berlin. „Bauaufgaben wie Museen, Synagogen, Gemeindezentren oder Schulen sind nicht nur Behausungen für die Aktivitäten einer jüdischen Gemeinde oder der Versuch, der Geschichte des jüdischen Lebens und des Holocaust Form zu verleihen, sondern als öffentliche Bauten auch Ausdruck des jüdischen Selbstverständnisses nach außen“, so Edward van Voolen vom Joods Historisch Museum in Amsterdam und Angeli Sachs vom Prestel Verlag, Initiatoren der Ausstellung. Gezeigt wird die Schau in Berlin Wien, Warschau, München und London.

Die opulente Ausstellung will einen Überblick über die „jüdische“ Architektur der Gegenwart bieten und prunkt mit vielen fulminanten Projekten, dargeboten mit Fotos, Skizzen, Modellen in einer bunten Ausstellungsarchitektur. Unter den 17 vorgestellten Exponaten aus den letzten zwei Jahrzehnten finden sich auch Entwürfe von Stars wie Libeskind oder Gehry. Beide sind Juden. Das heißt aber nicht, dass jüdische Bauaufgaben automatisch jüdischer Architekten bedürften. Wer unter den Architekten jüdisch ist, bleibt in der Ausstellung ausgeblendet. Ebenso unterbelichtet bleibt die Frage, warum die Juden überhaupt so dringend eine Identität im Bauen suchen. Auch der deutsch-englische Katalog findet darauf wenig Antworten.

Mehr als um das Warum geht es in der Ausstellung darum, zu zeigen, wie Identität mit Bauen hergestellt wird. Allerdings entpuppt sich bei näherer Betrachtung noch jede der vorgestellten Architekturen als Einzelfall. Daniel Libeskinds Jüdisches Museum in Berlin ist reine Symbolarchitektur, in der der Besucher bei seinem Gang durch den Bau unweigerlich den Weg der Juden durch die deutsche Historie nachvollziehen muss – samt „Holocaust-Turm“ und „Garten des Exils“. Die so genannten Voids, also die eingeschnittenen Leerräume im Gebäude, stehen dabei für die Verluste in der deutsch-jüdischen Geschichte. Libeskind schafft Identität durch die Übersetzung der Geschichte in Form. Ganz anders machen es Felix Claus und Kees Kaan bei ihrer Nationalen Gedenkstätte Kamp Vught (2000–2002) in den Niederlanden. Dort, am authentischen Ort eines ehemaligen Konzentrationslagers, hält sich die Architektur zurück und lässt die Relikte sprechen. Das neu errichtete Eingangsgebäude ist im Grunde nichts als ein schlichter Quader, der mit schmalen Ziegelstreifen rhythmisiert wird.

Dass die Geschichte als Referenz für die Konstruktion einer jüdischen Identität wichtig ist, haben auch die Ausstellungsmacher gesehen und deshalb eine die halbe Ausstellung begleitende Chronik an die Wand gebracht. Hier kann man erfahren, dass als erste identitätsstiftende Architektur wohl das Stiftszelt vor rund 3.000 Jahren angesehen werden muss. Wie es aussah, ist allerdings unbekannt. Das Büro Wandel Hoefer Lorch + Lorch bediente sich bei der Neuen Dresdner Synagoge (1997–2001) dennoch des Motivs des Zeltes durch Einsatz eines gewirkten Messingvorhangs, der das Gebäude innen auskleidet. Der steinerne Jerusalemer Tempel, der von 950 vor bis 70 nach Christi Geburt bestand und heute noch als Relikt der Klagemauer anschaulich ist, bietet dagegen konkrete Anknüpfungspunkte. So benutzt Mehrdad Yazdani bei seiner Sinai Temple Akiba Academy in Los Angeles (1998/1999) Jerusalemer Stein für eine gebogene Wand am Eingang zum Versammlungsraum. Innerhalb der Ansammlung verschiedener Baukörper aus Beton bildete diese Referenz an die alte jüdische Hauptstadt eine Art Verankerung in der Geschichte. Gerade in der geschichts- und gesichtslosen kalifornischen Metropole wird ein solcher Bezugspunkt wichtig.

Die Vielzahl jüdischer Bauprojekte für Museen, Gedenkstätten und Synagogen und die oft spektakulären Entwürfe sprechen von einem offenbar wieder erstarkten jüdischen Selbstbewusstsein. Zvi Heckers Heinz Galinski Schule im Berliner Grunewald mit ihrem zentrifugalen Spiralgrundriss, Libeskinds Berliner Museum oder die Neue Dresdner Synagoge zeugen in Deutschland davon. Das wie ein Pfeil den Berg durchstoßende neue Museum für die Geschichte des Holocausts (1997–2004) in Jad Vaschem bei Jerusalem von Moshe Safdie oder Frank O. Gehrys Projekt für ein Museum der Toleranz, ebenfalls in Jerusalem, mit seinem wie ein Turbinenrad aussehenden Dach sind andere Beispiele für eine extrovertierte Gestik im jüdischen Bauen. Anderseits gibt es auch das genaue Gegenteil, wie die Lauder Chabad Schule (1996–1999) in Wien zeigt. Adolf Krischanitz hat in seinem Entwurf eine ruhige und rationale Architektur gebaut, der auf alle Mätzchen verzichtet und ganz auf rechte Winkel und wiederholbare Formen setzt.

So scheint die jüdische Identität – jedenfalls in der Architektur – gerade dadurch ausgezeichnet, dass sie sich auf keine Formensprache festlegen will. Wenig verwunderlich, wenn man bedenkt, unter welch verschiedenen Umständen die jüdischen Gemeinden in ihrer langen Geschichte zu leben hatten.

Bis 29. Mai im Jüdischen Museum Berlin. Katalog (Prestel Verlag) 29,90 €