Volksaufstand in der Bürgerschaft

Still protestierende Bürger, hochrote Politiker und eine nervöse Präsidentin: Die CDU trägt mit ihrer Parlamentsmehrheit die Hamburgische Volksgesetzgebung zu Grabe. SPD wirft Union vor, den gemeinsamen Konsens der frühen Jahre zu verlassen

Von Markus Jox

Sie standen auf für die direkte Demokratie: Bei der namentlichen Abstimmung zur Veränderung der Hamburgischen Volksgesetzgebung gestern Abend in der Bürgerschaft erhoben sich alle Oppositionsabgeordneten von SPD und GAL und blieben aufrecht stehen, nachdem sie 56 mal „Nein!“ ins Plenum gerufen hatten. Die 60 mit „Ja“ votierenden CDUler blieben sitzen.

Mit einem veritablen Eklat hatte die Debatte bereits begonnen. Als sich während der Rede des CDU-Mannes Manfred Jäger die Zuschauer auf der Tribüne rote Kreuze vor den Mund hielten und so stillen Protest gegen die vom Senat geplante Strangulierung der Volksgesetzgebung übten, unterbrach Bürgerschaftsvizepräsidentin Bettina Bliebenich (CDU) die Sitzung. Die unartigen Bürger, darunter die rührige Chefin des Vereins „Mehr Demokratie“, Angelika Gardiner, wurden von Saaldienern abgeführt, um ihre Personalien zu aufnehmen.

SPD-Parteichef Mathias Petersen spielte in der Debatte den staatsmännischen Part: „Heute verstärkt die CDU die Politik- und Politikerverdrossenheit, in dem sie die Volksgesetzgebung de facto abschafft“, so Petersen voller Pathos. Gemeinsam mit der Union habe man vor sieben Jahren die Volksgesetzgebung beschlossen. „Die CDU ist aus diesem Konsens ausgebrochen, sobald sie an der Macht war“, stellte Petersen fest. Es sei „fatal“, dass die Regierungsfraktion „mit Taschenspielertricks die Volksgesetzgebung so beschneidet, dass die Menschen praktisch keine Chance mehr haben, sich zu beteiligen“.

CDU-Jäger wies die Vorwürfe mit hochrotem Kopf zurück: Die SPD argumentiere „unredlich und unseriös“. Neun von 16 Bundesländern hätten die Amtseintragung beim Volksbegehren in der Verfassung verankert. Die Trennung von Wahltagen und Volksentscheiden werde dazu führen, dass die direkte Demokratie nicht mehr ein bloßes Anhängsel sei. „Wir können dem Gesetzentwurf guten Gewissens zustimmen“, rief Jäger aus.

GAL-Verfassungsexperte Farid Müller warf der CDU vor, die direkte Demokratie „kaltstellen“ zu wollen. Mit der Entkoppelung von Wahlen und Volksentscheiden wolle der Senat die Zustimmungsraten absenken. Offenbar habe die CDU Angst davor, dass die Menschen auf der Straße über ihre Politik diskutieren. „Dann sagen sie denen doch ganz offen: Wir wollen nicht mehr, dass uns das Volk reinquatscht, wir wollen endlich ungestört Krankenhäuser an gute Bekannte verticken und hinten herum die Berufsausbildung privatisieren“, ätzte Müller. Die CDU habe weder die politische noch eine moralische Legitimation, „diese massive Einschränkung der direkten Demokratie im Alleingang vorzunehmen“.

Innensenator Udo Nagel (parteilos) verteidigte den Gesetzentwurf in einer erschreckend kurzen Rede als „gerecht und verfassungskonform“. Eine Abschaffung der Volksgesetzgebung „ist weder Ziel noch beabsichtigte Wirkung“. Volksbegehren würden „schlanker und effektiver“ und wirklich „interessierte Bürger“ schon noch teilnehmen an der direkten Demokratie, murmelte er lustlos in seinen Bart.

„Wir werden hier in Hamburg kein erfolgreiches Volksgesetzgebungsverfahren mehr erleben“, prophezeite SPD-Rechtsexperte Rolf-Dieter Klooß in einer fulminant-verbitterten Rede. Der Gesetzentwurf sei „ein gelungener Beitrag von Senat und CDU zu mehr Politikverdrossenheit und zu mehr Frustration bei den Bürgerinnen und Bürgern“.

CDU-Fraktionschef Bernd Reinert schließlich bezeichnete die Argumente von SPD und GAL als „getretenen Quark“. Man führe lediglich ein paar Verfahrensänderungen durch.