Aus Ratzinger wird Benedikt

Joseph Ratzinger wird nach 480 Jahren der erste deutsche Papst. Sein Wort zur Wahl: „Ich bin ein einfacher demütiger Arbeiter im Weinberg des Herrn“

VON PHILIPP GESSLER

Das nennt man dann wohl einen Durchmarsch. Joseph Ratzinger hat zwei Tage nach seinem 78. Geburtstag trotz allem die Sensation klar gemacht. Der Mann mit der hohen, schwachen Stimme ist der neue Papst, der Nachfolger von Johannes Paul II., dessen engster Mitarbeiter er war. Der Bayer aus Marktl am Inn, über etwa ein Vierteljahrhundert Leiter der Glaubenskongregation, die früher als Heilige Inquisition Furcht und Schrecken verbreitete, kann nun sein Kardinalsrot in das Schneeweiß des Pontifex Maximus eintauschen. Die 115 Kardinäle in der Sixtinischen Kapelle haben innerhalb von rund 24 Stunden eine eindeutige Entscheidung getroffen: Weiter so. Keine Experimente.

Dabei stand der brillante Theologe, der Sohn eines Gendarmeriemeisters, einmal für einen gewissen Aufbruch in der Kirche. Ratzinger, ein Höhenflieger von Anfang an, stand während des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962–65), das er offiziell als „peritus“ beriet, in dem Ruf, ein Reformer zu sein. Tatsächlich klingen seine alten Schriften nach Öffnung, „aggiornamento“, wie damals das Schlagwort hieß. Der gerade mal 30-jährige Dogmatik-Professor in Bonn, Münster und Tübingen stand Anfang der 60er-Jahre für ein modernes Kirchenbild, das die 1,1 Milliarden Katholiken noch heute ersehnen.

Dann aber kam das Jahr 1968, das er fast traumatisch erlitt, wie in seinen Schriften durchschimmert: Er fühlte sich gedemütigt von den linken Studenten, die seine Vorlesungen störten – und nicht nur, aber auch das führte zu einer langsamen Wendung in seinem Denken und seiner Theologie: Aus dem einst liberalen Intellektuellen wurde ein mehr und mehr ängstlicher Bewahrer.

Das tat seiner Karriere keinen Abbruch, im Gegenteil: Papst Paul VI. berief Ratzinger 1977 zum Erzbischof von München und Freising und hob ihn wenig später in den Kardinalsstand. Rasant ging es weiter, schon Ende 1981 wurde er Präfekt der Glaubenskongregation, der höchsten und zentralen Instanz für die Interpretation und Verteidigung der katholischen Lehre. Linke Theologen wie Leonardo Boff und Hans Küng spürten fortan seine ideologische Knute. Ratzinger war die Stimme seines Herrn, die schneidende, kalte.

Nicht zuletzt die deutsche katholische Kirche litt unter Ratzinger. Er trieb sie im Namen seines Papstes, mit dem er Deutsch sprach, aus dem staatlichen System der Schwangerenkonfliktberatung – entgegen dem klaren Votum fast des gesamten deutschen Episkopats. Gotthold Hasenhüttl, ein Saarbrücker Theologie-Professor, der es wagte, am Rande des Ökumenischen Kirchentages 2003 in Berlin Protestanten die Kommunion zu geben, suspendierte er von seinem Priesteramt. Ratzinger war immer glasklar – und reaktionär.

Deshalb hielten es die meisten Experten für unwahrscheinlich, dass er es tatsächlich auf den Thron des „Stellvertreter Christi“ auf Erden schaffen würde. Aber als der charismatische Karol Wojtyła unter den Augen der Welt starb, startete Ratzinger überraschenderweise erst recht durch: Er hielt eine viel beachtete Trauerpredigt bei der Beerdigung seines Vorgängers, wusste während der danach stattfindenden Kongregationen, also Versammlungen der Kardinäle, seine Truppen zu sammeln – und als er vor Beginn des Konklaves erneut mit einer Quasi-Bewerbungsrede im Petersdom beeindruckte, war er offenbar nicht mehr aufzuhalten.

Die konservative Fraktion im Konklave, die er hinter sich wusste, ging offenbar – wir werden es erst später wissen, denn offiziell darf darüber nie gesprochen werden – von Anfang an aufs Ganze. Die wenigen liberalen Köpfe im Konklave konnten ihn nicht mehr verhindern. Papst Johannes Paul II. hatte eben bis auf zwei Kardinäle alle nach seinem konservativen Gusto ausgewählt. Selbst Kompromisskandidaten hatten anscheinend keine Chancen. Ratzinger und die Truppen des Opus Dei im Konklave haben auf ganzer Linie gesiegt.

Was ist nun von dem reaktionären Kirchenmann zu erwarten? Seine letzte Predigt vor dem Konklave, in der er die „Diktatur des Relativismus“ anprangerte, zeigt an, wohin die Reise gehen wird: Die Schotten dicht, die Heilige Römische und Apostolische Kirche wird er abzuschließen versuchen vor der modernen Welt – das Ganze ohne das Charisma und die Mitmenschlichkeit, die Johannes Paul II. auszeichnete. Keine gute Nachricht für Frauen, Homosexuelle und Aids-Kranke, um nur einige Gruppen zu nennen, die von ihm nichts zu erwarten haben.

Für diese Menschen, deren Nöte schon Johannes Paul II. kaum beachtete, könnten sich diese Worte Ratzinges vor dem Konklave noch als Fluch erweisen: „Es wird oft als Fundamentalismus bezeichnet, wenn man einen klaren Glauben auf den Grundlagen der Kirche vertritt, während der Relativismus, also das Hin- und Hertreiben in jedwedem Wind der Doktrinen, als einzige Haltung dargestellt wird, die heute Gültigkeit hat.“ Das ist Reaktion pur. Ratzinger hat sich für Europa mit einer Kirche abgefunden, die die reine Lehre verteidigt, auch wenn dann nur noch eine Minderheit sie hört. Überhaupt hält er nur die römische Kirche für eine, die diesen Namen verdient, wie er die protestantischen Kirche im Schreiben „Dominus Iesus“ belehrte. Die Ökumene wird es ganz schwer haben. Nur die Kirchenbasis wird noch etwas rumwursteln.

Kurz nach seiner Wahl sagte Ratzinger, der sich Benedikt XVI. nennt, zu den Gläubigen auf dem Petersplatz: „Ich bin nur ein einfacher demütiger Arbeiter im Weinberg des Herrn.“ Einfach ist er nicht, demütig kaum – und ein Arbeiter ist der Intellektuelle auch nicht. Die Kirche geht schweren Zeiten entgegen.