Die Mutwillige

Sie zeichnet und schreibt und filmt – und jetzt singt sie auch. Mit „Wo bitte geht’s nach Shambhala?“ hat Ziska Riemann ihr erstes Album vorgelegt – und bringt mit ungebrochenem Glückswillen und süßen Melodien sogar die Zyniker zum Schweigen

VON THOMAS WINKLER

Als sie mit dreizehn Jahren weg lief von zu Hause, da sollte es die Revolution sein. Oder doch wenigstens die Rettung der Welt. Aus dem Straßenkind ist eine Frau mit vielen Talenten geworden. Nun, fast zwei Jahrzehnte später, wäre Ziska schon zufrieden, wenn sich ihre Finanzen konsolidieren würden.

Dazu müsste sie von ihrer ersten Schallplatte ungefähr 1.500 Stück verkaufen. Damit wären zumindest die von ihr vorfinanzierten Produktionskosten für „Wo bitte geht’s nach Shambhala?“ wieder drin. Doch bekannt ist Ziska Riemann, die von ihren Eltern zwar Franziska getauft, aber stets bei ihrem Spitznamen gerufen wurde, als Zeichnerin. Gemeinsam mit der Westberliner Comic-Ikone Gerhard Seyfried gestaltete sie drei Bände, sie zeichnete für Die Zeit ebenso wie für das eingegangene Techno-Magazin Frontpage. Außerdem schreibt sie Kurzgeschichten, Gedichte und Drehbücher und dreht Dokumentarfilme. „Es gibt halt Geschichten, die gehen nur als Gedicht“, sagt sie, „andere nur als Comic oder als Bild. Und manchmal ist es eben ein Song.“

Diese Seite an Ziska, ihre musikalische, ist noch weitgehend unbekannt. Zwar sang und trommelte die mittlerweile 32-Jährige über Jahre in verschiedenen Bands, die hübsche Namen wie Fish Can’t Walk oder Living Room Club trugen, aber allesamt keinen allzu großen Bekanntheitsgrad erlangten. Mit „Wo bitte geht’s nach Shambhala?“ könnte dies anders werden, denn mit den Songs auf diesem Album, das sich sechs Jahre Zeit nahm, um fertig zu werden, trifft Ziska womöglich den Zeitgeist an seiner verwundbarsten Stelle. „Ich wollte eine Platte“, sagt sie, „die glücklich macht.“ Bunt ist die geworden, nicht nur, weil Ziska selbst sie liebevoll mit vielen ihrer Zeichnungen verziert hat. Sie hat Songs geschrieben über Prinzessinnen und Drachen, über Gedankentrips und Naturbreitsein und natürlich Songs über die Liebe. Die Melodien dazu säuseln zuckersüß, die Musik hüpft beschwingt und führt uns direkt ins titelgebende Shambhala, dem Paradies im tibetischen Buddhismus. Mit den Danksagungen gibt uns die Künstlerin noch ein „Mögen alle Wesen glücklich sein“ mit auf den Weg. Auf die leicht ironisch gemeinte Frage, ob sie für das schlussendliche Ergebnis das große Wort vom Konzeptalbum akzeptieren würde, antwortet sie: „Auf jeden Fall. Die Platte soll Mut machen.“

Die Texte, mit denen das geschehen soll, sind dabei grenzwertig geraten, so klar und hell wie ihre Stimme, aber auch so naiv wie ihre Comics, in denen die existenziellen Fragen des Lebens ebenfalls so verhandelt werden, als ließen die sich mit ein wenig gutem Willen und ein paar Pinselstrichen zur Zufriedenheit aller lösen. Aber das weiß sie selbst: „Es gibt keine allzu komplexen Assoziationen, das ist eigentlich Comic-Musik, sehr plakativ.“ Wollte der Küchenpsychologe nun analysieren, Franziska Riemann sei womöglich ein wenig zu behütet aufgewachsen, noch nicht mit den Realitäten konfrontiert worden, könnte das nicht falscher sein: Seit sie, die gebürtige Münchnerin, als Teenager ausriss, um sich in den späten 80er-Jahren auf Trebe durch Westberlin treiben zu lassen, auf der Straße, im Bauwagen, in Abrisshäusern „all das zu leben, was meine Eltern aufgegeben hatten, als ich acht Jahre alt war“, hat sie mehr hinter sich gebracht, als den meisten anderen für ein ganzes Leben ausreichen würde.

Der Vater, ein praktizierender Zen-Buddhist, hat ihr auch die Nähe zu asiatischem Gedankengut mitgegeben. Heute meditiert sie täglich mindestens eine Stunde, als Ausgleich zwischen ihren vielen „verschiedenen Aktivitäten, die sonst gar nicht zu regeln wären“, von denen sie aber auch keine missen möchte. Momentan dreht sie mit einer anderen Filmemacherin eine Dokumentation „über Hippie-Frauen“, darunter Hanna Schygulla, Luisa Francia und ihre eigene Mutter, bringt auf ihrem eigenen, frisch gegründeten Plattenlabel MerMer ihr eigenes Debütalbum heraus und übt dessen Songs mit einer zehnköpfigen Band aus Freundinnen ein, die vorher bei solchen Bands wie Heavy Mädels oder The Shining gespielt haben.

„Ich bin halt immer begeistert, wenn ich was mache“, sagt sie, und meint: egal was. Demnächst soll es auf Tour gehen, dann schreibt sie noch zusammen mit Lucy van Org an einem Drehbuch und arbeitet an der nächsten Veröffentlichung des Plattenlabels: einer Compilation mit Beiträgen berühmter und weniger bekannter Musikerinnen, die allesamt über ihre Pubertät singen. Das passt. Schließlich hat Franziska Riemann es geschafft, ihre Pubertät immer weiter zu verlängern, bei ihrem Spitznamen gerufen zu werden, Bildergeschichten zu malen und so naive Zeilen zu singen, dass es mitunter wehtut. Aber das ist wohl nur der Neid der Zyniker.

Ziska: „Wo bitte geht’s nach Shambhala?“ (MerMer/Cargo)Record Release Party am 21. April