Ist Gott ein Deutscher?

Von Horst Köhler bis Angela Merkel, von Gerhard Schröder bis zur „Bild“-Zeitung: Die Wahl Joseph Ratzingers zum neuen Papst versetzt die deutsche Republik kurzzeitig in ein nationales Delirium

Wer bislang glaubte, die nationale Herkunft Joseph Ratzingers sei unerheblich, wer ihn als Mann der Weltkirche, also eines multinationalen Unternehmens, sah, wurde jetzt, nach der Papstwahl, eines Besseren belehrt. Was der neue Papst denkt, was er tun wird – für deutsche Medien wie Politiker war einzig die Tatsache wichtig, dass Benedikt XVI. ein Deutscher ist.

Die Wahl Ratzingers, so Bundeskanzler Gerhard Schröder in seinem Glückwunschschreiben, „ehrt auch Deutschland“. Dass ein Landsmann zum Papst gewählt wurde, ist auch für unseren Bundespräsidenten Horst Köhler Anlass „zur Freude“ und – in vornehmer Zurückhaltung – „auch ein wenig zum Stolz“. Edmund Stoiber ist klug genug, zuerst die Weltkirche zu diesem großen Tag zu beglückwünschen, um dann anzufügen, dass dies auch „ein großartiger und wunderbarer Tag für Bayern und Deutschland“ sei – man beachte, nebenbei, die Reihenfolge. Auch mindere Katholiken wie der Grüne Joschka Fischer wollten hier nicht zurückstehen. Der Außenminister „freut sich ganz besonders, dass ein Papst aus unserem Land gewählt worden ist“. Selbst Guido Westerwelle, der gut beraten wäre, zu den moralischen Maximen des Katholizismus Abstand zu halten, sah es als eine „Ehre“ an, dass „ein Deutscher die Katholiken aller Länder führen wird“.

Und dies, wie allgemein festgestellt worden ist, das erste Mal nach fast 500 Jahren. Wen kümmert es da, dass jener deutsche Vorgänger Ratzingers, Hadrian VI., 1459 in Utrecht geboren und in Holland ausgebildet wurde, um anschließend Kaiser Karl V., einem Monarchen mit dezidiert universellem Anspruch, zu dienen? Hauptsache, die Eltern waren deutscher Abstammung. Also Deutsche kraft deutschen Blutes, ein Kriterium, das schließlich bis heute die deutsche Staatsbürgerschaft verbürgt. Außerdem und um alle Zweifel auszuräumen: Die Niederlande gehörten formell bis zum Westfälischen Frieden 1648 zum Heiligen Römischen Reich deutscher Nation!

Hieß es nach der Fußballweltmeisterschaft 1990 noch bescheiden: „Wir sind Weltmeister“, so sind wir jetzt als Nation zu noch höheren Ehren gelangt. „Wir sind Papst“, titelte Bild in seiner gestrigen Ausgabe. Theologisch gesehen ist das nicht ganz unbedenklich, aber verständlich angesichts der unbändigen Freude der deutschen Massen ob des deutschen Papstes, einer Freude, von der allerdings in den Reportagen am Abend der Papstwahl wenig zu sehen war. Zur Belehrung und Einstimmung dieser Banausen, die die Bedeutung der Papstwahl für die Deutschen noch nicht verstanden haben, überschrieb Bild seinen Kommentar in flüssigem Latein „Habemus Papam ex Germania“. Ein wirklicher Beitrag zur Volksbildung.

Die nationale Aufwallung in der öffentlichen Meinung folgt seitens aller Beteiligten einem durchsichtigen politischen Kalkül. Rot-Grün bastelt unter Führung des Bundeskanzlers am Konstrukt eines „deutschen Patriotismus“, der die deutschen Unternehmer im Land und die deutschen Arbeitnehmer bei der Stange halten will. Bislang eher eine dünne Suppe, die anlässlich der deutschen Papstwahl etwas angereichert werden soll. Demgegenüber können die Schwarzen sich Hoffnung auf eine direkte Blutzufuhr aus Rom für den Patriotismus aus christlicher Grundhaltung machen. Der einzige Schönheitsfehler: Die CDU-Vorsitzende Angela Merkel ist Protestantin, noch dazu – horribile dictu! – ein Pfarrerskind. CHRISTIAN SEMLER

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