FRAUEN SOLLEN MÜTTER WERDEN UND DANN KARRIERE MACHEN
: „Erst mal Beruf“ ist völlig richtig

Eines muss man der Familienministerin Renate Schmidt lassen: kaum ein Arbeitstag, an dem sie sich nicht mit Studien, Umfragen, Berichten für mehr Kinder ins Bild setzt. Fleißig wirbt sie in eigenen SPD-Reihen, aber auch bei den Arbeitgebern für mehr Vereinbarkeit von Familie und Beruf.

Gestern nun hielt wieder eine Allensbach-Umfrage her, um den Gründen für Kindermangel auf die Spur zu kommen. Schmidts Schlussfolgerung daraus trug nun einen neuen Akzent: „Wir brauchen eine zeitliche Entzerrung“ von Beruf und Familie. Die Deutschen litten unter einer „Erst-mal-Mentalität“: erst mal Job, Haus, Heirat, Geld. Und dann ist es halt oft genug zu spät fürs Kind. Aber wen oder was möchte Frau Schmidt wohin zerren?

Offenbar will die Bundesregierung daran erinnert werden, dass selbst Hochschulabsolventen fürchten, jahrelang von Minijobs plus Praktika zu leben. Wer gegenwärtig die Kinderproduktion vor dem Berufseinstieg fordert, wird mehr Geld für Sozialhilfe ausgeben. Die unberechenbaren Kürzungen im Sozialbereich schaffen auch kein Vertrauen in eine Zukunft mit Kindern. Stolz weisen Politikerinnen auf den hohen Ausbildungsstand der jungen Frauen hin, die in vielen Zweigen die Männer überholen. Was glauben sie, was aus denselben Frauen wird, wenn sie nachts statt über Büchern an der Wiege hocken?

Wenn die Ministerin nicht Erst-mal-Job, sondern Erst-mal-Kind verlangt, dann landen die Frauen in Zeiten der Massenarbeitslosigkeit eben wieder in der zweiten Reihe, gleich neben der Waschmaschine. Mit 35 oder 40 Jahren können sie dann ins Berufsleben einsteigen – als Arzthelferin oder Sprachensekretärin. Achtbare Jobs, aber nichts, womit frau sich neben dem männlichen Vor-allem-Verdiener behauptet. Wenn die Bundesregierung meint, die Volkswirtschaft könne auf den weiblichen Grips nicht verzichten, dann darf sie sich der „Entzerrungs“-Theorie konservativer Familienpolitiker nicht anschließen. Sie kann die Arbeitgeber nur drängen – wenn nicht zwingen –, Männer wie Frauen gleichermaßen die Luft und die Zeit zur Kinderbetreuung zu geben. ULRIKE WINKELMANN