Ungerecht und teuer

Die Wehrpflicht ist gesellschaftlich und ökonomisch unsinnig. Die Bundeswehr muss in eine Berufsarmee, der Zivildienst in ein freiwilliges soziales Jahr verwandelt werden

Auch das beliebte Gerede von der Generation der Hedonisten stimmt nicht

Im Moment ist wieder einmal die Wehrpflicht heftig in der Diskussion, nachdem das Kölner Verwaltungsgericht die Einberufungspraxis der Bundeswehr vor das Bundesverfassungsgericht gebracht hat. Im Gegensatz zu ihren Kollegen in Leipzig sehen die Kölner Richter die grundgesetzlich verankerte Wehrgerechtigkeit nicht mehr gegeben, weil unter jungen Männern nur noch weniger als die Hälfte eines Jahrgangs eingezogen werden.

Um die Wehrpflichtdebatte wirklich würdigen zu können, muss man aber auch den untrennbar damit verbundenen Zivildienst einbeziehen. Denn wenn der Wehrdienst fallen würde, dann müsste nicht nur die Bundeswehr umstrukturiert werden, sondern es würde auch der aus der Wehrpflicht abgeleitete „Ersatzdienst“ wegfallen, und dadurch wären viele soziale Einrichtungen betroffen, in denen Zivis tätig sind. Deswegen gibt es immer wieder Stimmen, statt des Wehr- und Zivildienstes ein „soziales Pflichtjahr“ einzuführen. Abgesehen davon, dass ein derartiger Dienst internationalem Recht widerspricht, würde ein Pflicht-Sozialjahr auch schlechtere Ergebnisse bringen als ein gut ausgebautes freiwilliges soziales Jahr, verbunden mit professionellen sozialen Diensten und einer Berufsarmee. Dies gilt nicht nur gesellschaftspolitisch, sondern auch wirtschaftlich, denn die aus betriebswirtschaftlicher Sicht billigen Wehrdienstler und Zivis verursachen der Volkswirtschaft hohe Kosten.

Da Zwangsrekrutierte die sie einsetzenden Organisationen nur wenig kosten, andere Inputs jedoch zu Marktpreisen eingekauft werden müssen, besteht ein Anreiz, relativ viele Dienstpflichtige einzusetzen, am nötigen Material aber zu sparen. Besonders deutlich sichtbar ist dieser Zusammenhang im Bereich der Bundeswehr, bei der deshalb hin und wieder sogar die Frage nach der Verteidigungsfähigkeit gestellt wird, weil sie nicht in der Lage ist, effektiv zu kämpfen und das hoch technisierte Material richtig einzusetzen. Verstärkt wird dieser Effekt durch die mangelnde Motivation von Zwangsrekrutierten. Es ist eine Binsenweisheit, dass Freiwilligkeit einen positiven Einfluss auf Einsatzbereitschaft und Verantwortungsbewusstsein hat. Dieser Effekt kann sehr groß sein: Die Sklaverei wurde nicht zuletzt deswegen abgeschafft, weil sie ökonomisch dem Marktmechanismus unterlegen war. Ordentlich angestellte Arbeiter machten aufgrund ihrer höheren Produktivität den durch die Lohnzahlung entstehenden Kostennachteil mehr als wett.

Die Einführung einer Dienstpflicht ist auch unter fiskalpolitischen Gesichtspunkten fragwürdig. Denn sie ist ökonomisch betrachtet nichts anderes als eine Steuererhöhung. Durch den Wehr- oder Zivildienst wird den betroffenen Personen eine Naturalsteuer auferlegt, da sie dem Staat ohne marktgerechte Gegenleistung Zeiteinheiten zur Verfügung stellen müssen. Naturalsteuern sind aber ein Relikt aus Zeiten vor der ökonomischen Aufklärung, weil sie in Erhebung und Verwaltung wesentlich aufwändiger sind als monetäre Steuern. Auch schränkt eine Dienstpflicht verschiedene individuelle Freiheiten, zum Beispiel das Recht auf freie Wahl des Berufs und des Arbeitsplatzes, grundlegend ein. Sie widerspricht somit grundlegenden Werten und Normen einer aufgeklärten Gesellschaft und ist daher nicht nur gesellschaftspolitisch fragwürdig, sondern auch ordnungspolitisch abzulehnen.

Wer auch immer sich für einen Pflichtdienst – also für Wehrpflicht und Zivildienst – ausspricht, sollte der Öffentlichkeit erklären, warum er oder sie dieses ökonomisch ineffiziente und ordnungspolitisch fragwürdige Instrument einer Naturalsteuer einsetzen möchte, anstatt auf ein attraktives freiwilliges soziales Jahr zu setzen. Denn auch die gesellschaftspolitischen Ziele, die mit dem Wehr- und Zivildienst erreicht werden sollen, werden verfehlt.

Das Argument, dass durch Wehr- und Zivildienst Jugendliche aus unterschiedlichen Schichten zusammengeführt werden und gemeinsame Erfahrungen machen, die der gesellschaftlichen Kohäsion dienen, steht auf schwachen Füßen. Abgesehen davon, dass gegenwärtig Frauen und Ausländer nicht dienen, sortieren sich junge Leute ganz unterschiedlich in die Dienste hinein. Das vom DIW Berlin erhobene Sozio-oekonomische Panel (SOEP) zeigt, dass es beim Zivildienst kaum Haupt- und auch nur wenig Realschüler gibt und – wenig überraschend – bei den Wehrdienstleistenden überwiegend die konservativen Parteien und bei den Zivildienstleistenden die rot-grünen Parteien präferiert werden.

In einer modernen Mediengesellschaft ist es auch unwahrscheinlich, dass eine Berufsarmee sich von der Gesellschaft entfernt und zum Staat im Staate wird. Berufssoldaten können dank moderner Medien nicht von gesellschaftspolitischen Diskussionen abgeschottet werden, und Skandale dringen – selbst unter Kriegsbedingungen wie im Irak – heutzutage nach außen. Das heißt ja nicht, dass die Medien alle Probleme innerhalb von Berufsarmeen verhindern, aber auch eine von Wehrpflichtigen durchsetzte Armee wie die Bundeswehr produziert ja offenkundig Skandale.

Auch das beliebte Gerede von der Generation der Hedonisten, die nur an sich und nicht an ihre Mitmenschen denken und deswegen beim Bund und im Zivildienst an ihre gesellschaftlichen Pflichten erinnert werden müssen, stimmt nicht. Abgesehen davon, dass man Mitgefühl nicht erzwingen kann, ist bei jungen Leuten auch gar kein Mangel zu konstatieren. Das SOEP zeigt, dass Jugendliche zwar keine eifrigen Kirchgänger, aber ehrenamtlich ungefähr genauso aktiv wie Erwachsene sind. Etwa 15 Prozent der Bevölkerung engagiert sich regelmäßig ehrenamtlich. Zwar bei weitem nicht alle – aber das war früher auch nicht anders. Ein Rückgang ist nicht erkennbar. Und bei guten Bedingungen wären, wie das freiwillige soziale Jahr zeigt, noch mehr junge Leute zu begeistern.

Die Dienstpflicht ist ökonomisch betrachtet nichts anderes als eine Steuererhöhung

Freiwilligkeit hat den Vorteil, dass die Sozialorganisationen sich noch mehr Gedanken über die Ausgestaltung der Tätigkeiten, die sie anbieten, machen müssten, um für junge – und ältere – Freiwillige attraktiv zu sein. Beispiele dafür gibt es bereits, und dort, wo Ehrenamtliche direkt mit Menschen zu tun haben, gibt es eine Vielzahl von Bewerbern. So wie Leute aus Deutschland im Ausland Erfahrungen machen wollen, sollte das Potenzial von Freiwilligen vor allem aus Europa nicht unterschätzt werden. Dieses Potenzial kann durch Toilettenputzen nicht aktiviert werden, aber statt Aupairplätzen können Pflegestellen in einem professionellen Umfeld für junge Leute aus dem Ausland attraktiv sein.

Auch wenn gilt, dass durch eine Berufsarmee und mehr professionelle Mitarbeiter bei Sozial- und Pflegediensten die Produktivität gehoben wird und für das gleiche Geld mehr Leistung zu erzielen ist, sollten im Bereich der Sozial- und Pflegedienste die ungefähr 900 Millionen Euro, die der Bund durch die Abschaffung des Zivildienstes jährlich sparen kann, für eine Verbesserung der Pflegequalität benutzt werden. GERT G. WAGNER