Staatsanwalt fordert 62.500 Jahre Haft

In Spanien hat ein Prozess gegen 24 Menschen begonnen, denen vorgeworfen wird, als Al-Qaida-Mitglieder Unterstützung bei den Anschlägen vom 11. September in den USA geleistet zu haben. Der Ausgang des Prozesses gilt Experten als völlig offen

AUS MADRID HANS-GÜNTER KELLNER

Baltasar Garzón hätte am liebsten Ussama Bin Laden höchstpersönlich auf die Anklagebank gesetzt. Der Al-Qaida-Chef zählt zu den 41 Verdächtigen, die der spanische Untersuchungsrichter im Zusammenhang mit den Anschlägen vom 11. September 2001 in den USA beschuldigt. In Abwesenheit darf in Spanien nicht verhandelt werden, und so eröffnete der Nationale Gerichtshof gestern das Verfahren nur gegen 24 Angeklagte – ohne Bin Laden.

In Spanien ist von einem Mammutprozess die Rede. Die spanische Justiz richtete auf dem alten Madrider Messegelände „Casa de Campo“ eigens eine alte Halle her, um dieses Verfahren durchführen zu können. Hier soll im kommenden Jahr zudem auch das Verfahren wegen der Anschläge vom 11. März 2004 in Madrid statt finden.

Anführer der mutmaßlichen spanischen Al-Qaida-Zelle war der Anklage zufolge seit 1995 Eddin Arakat Yarkas, alias „Abu Dahdah“. Der mit einer Spanierin verheiratete Syrer soll die weiteren Mitglieder der spanischen Al-Qaida-Filiale angeworben haben. Er hat Polizeiangaben zufolge auch gemeinsam mit dem Marokkaner Driss Chebli nur wenige Monate vor dem 11. September 2001 das letzte vorbereitende Treffen der Todespiloten um Mohammed Atta im spanischen Tarragona organisiert. Zu den weiteren Angeklagten zählen der Syrer Ghasoub al-Abrash, der schon 1997 in New York mögliche Attentatsziele gefilmt haben soll.

Die Staatsanwaltschaft beschuldigt diese drei Männer des Mordes an 2.500 Menschen und Bildung einer terroristischen Vereinigung. Jeder der Morde soll mit 25 Jahren geahndet werden, weshalb das geforderte Strafmaß für jeden der drei 62.500 Jahre übersteigt. In Spanien darf jedoch niemand länger als 30 Jahre inhaftiert sein.

Die übrigen Beschuldigten, darunter auch der schwer herzkranke spanische Al-Dschasira-Korrespondent Taisir Aluni, sollen wegen Mitgliedschaft in einer Terrorgruppe und teilweise auch wegen des Besitzes von Waffen und Sprengstoff für zwischen 9 und 27 Jahren ins Gefängnis. Als erste Entscheidung ließ das Gericht Aluni wegen seines Gesundheitszustands unter Auflagen frei.

Strafrechtsexperten sehen große rechtliche Hürden für den Prozess. Die spanischen Antiterrorgesetze sind auf die hierarchisch aufgebaute baskische ETA zugeschnitten. Von al-Qaida ist dagegen kein strenges Organigramm bekannt. Die Frage ist, ob überhaupt von einer „terroristischen Organisation“ die Rede sein kann.

Auch die Beweislast ist strittig. Eine große Rolle spielen abgehörte Telefongespräche, in denen häufig von „Händlern“ die Rede ist, was für die Anklage „Kämpfer“ bedeutet, oder vom „Weg in die Fabrik“, für die Anklage der Weg nach Tschetschenien oder Afghanistan.

Der Prozess steht zudem unter strenger Beobachtung von Menschenrechtlern. Die Tageszeitung El País veröffentlichte gestern Auszüge aus der diesjährigen EU-Studie zur Situation der Menschenrechte in Spanien. Darin äußert sich Berichterstatterin Teresa Freixas besorgt darüber, dass bereits 117 Personen in Spanien wegen Anschuldigungen im Zusammenhang mit islamischem Terrorismus in U-Haft sitzen, und mahnt an, dass die innere Sicherheit nicht auf Kosten der Bürgerrechte gehen dürfe.