Offenes Buch

Szenen aus dem Privatleben junger Aus- und Einwanderer: Das Romandebüt des Albaners Beqë Cufaj, „Der Glanz der Fremde“

Was bleibt in einer hässlichen Welt zu tun? Lesen. Und schreiben. Das Kosovo, in dem der junge Arben Duka aufwächst, ist eine hässliche Welt: grau, trostlos. Wie jener Stuttgarter Vorort, in dem er, wer weiß, heute noch lebt. Denn vielleicht heißt Arben Duka in Wirklichkeit Beqë Cufaj. Und vielleicht ist dessen Roman „Der Glanz der Fremde“ derselbe, den Arben Duka schreiben will. Selten präsentiert sich die Wirklichkeit in einem Buch so offen. Trotzdem führt selten ein Buch so über sie hinaus. Denn was als Leben nicht taugt, langt als Stoff für einen Roman allemal.

So findet sich der zwischen Dauersuff und Sozialelend in einer verwilderten Kaschemme dahinschmachtende Autor unversehens wieder in dem aufgeräumten kleinen Buch, in dem das warme Licht der ins Ästhetische gewendeten Erfahrung für das entschädigt, was der Glanz der Fremde schuldig bleibt. Wo ein Schreiber ist, ist auch ein Held: Ricky aus Amerika, der sich so nennt, um Erfolg bei den Frauen zu haben, in Wirklichkeit aber Rifat heißt, und aus demselben kosovarischen Niemandswinkel stammt wie sein künftiger Chronist. In Stuttgart laufen sie sich über den Weg. Geschickt montiert Cufaj Vergangenes mit dem, was kommt, die Kindheit in einem merkwürdig wüsten Vorbürgerkriegsland mit der Migrantengegenwart, die unter veränderten Vorzeichen alles erneut wiederholt: das Warten in einer Enklave der Zu-kurz-Gekommenen, konfrontiert mit einem fremden Staat und den dürftigen Aussichten eines Volkes, von dem Ricky sagt, das Einzige, was sich von ihm lernen ließe, sei, wie man es schafft, sein Leben lang aus den Schwierigkeiten nicht herauszukommen.

Speziell in letzter Eigenschaft lässt Ricky nichts zu wünschen übrig. Er drückt sich um eine feste Arbeit, geht dafür keiner Schlägerei aus dem Weg, ist bei alldem aber ein netter Kerl, der aus einer beschissenen Situation das Beste macht – sofern niemand seinen nervösen Ehrbegriff durch Anspielungen auf die Mutter reizt. In der manischen Verbalerotik seiner Kreise passiert genau dies freilich leicht: „Ich ficke deine Mutter und deinen Vater und deine Frau und deine Kinder, sogar die Ratten in deinem Keller ficke ich.“ So endet diese Geschichte mit einer durchgebrannten Sicherung. Und Rickys Weg verliert sich wieder im schäbigen Dunkel zwischen Knast und Abschiebung.

Cufaj berichtet diese Szenen aus dem Privatleben junger Aus- und Einwanderer bei aller Verstricktheit distanziert, vor allem aber unter Verzicht auf jegliche ideologische Aufrüstung seiner Beobachtungen. Dass ein serbischer Polizist ein Buch von Rimbaud als Dokument albanischer Gewaltbereitschaft wertet, weil er den Dichter in der albanischen Schreibweise „Rembo“ mit dem amerikanischen Haudrauf ähnlichen Namens verwechselt, reicht aus, um die tiefen Missverständnisse zwischen den Volksgruppen zu markieren. Mehr als darum, in bestimmten Meinungslagern sesshaft zu werden, geht es Cufaj um das Befremdliche des Daseins überhaupt. Mit neugierigen Augen verfolgt er die Merkwürdigkeiten eines Lebens, und die Bilder, die er dabei einfängt, erinnern in ihrer Schlichtheit an die schöne Empirie italienischer Neorealismus-Filme. Am Ende findet der Schreibende eine Beschäftigung bei einer Zeitung. Er soll über wichtige Ereignisse in Deutschland berichten. Und wenn er will, auch über unwichtige. Jene sind ein Fall für den Journalismus. Aus diesen aber hat Cufaj große Literatur gemacht. STEFAN KISTER

Beqë Cufaj: „Der Glanz der Fremde“. Aus dem Albanischen von Joachim Röhm. Zsolnay Verlag, Wien 2005, 220 Seiten, 19,90 Euro