Ein Papst auf Samtpfötchen

Bei seiner Amtseinführung gibt sich Benedikt XVI. als milder und versöhnlicher Hirte

AUS ROM MICHAEL BRAUN

Daran hat man sich in den letzten Wochen gewöhnt auf dem Petersplatz. Immer wieder unterbricht Applaus die Predigt – achtunddreißigmal muss Papst Ratzinger innehalten, als seine Worte beklatscht werden –, Sprechchöre „Benedetto, Benedetto!“ heben an, am Ende gibt es Ovationen, die Benedikt XVI. sichtlich zufrieden entgegennimmt. Auch bei der Messe zur Amtseinführung des neuen Papstes präsentierte sich der Petersplatz als Fankurve, wurden Flaggen geschwenkt, und natürlich waren die Deutschen, war erst recht der bayrische Fanblock mit Tirolerhüten, Trachtenjankern und weiß-blauen Fähnchen besonders stark vertreten. Routine war die Veranstaltung auch aus der Sicht der Stadt Rom. Ein paar hunderttausend Pilger – das bringt nach dem Millionenansturm der letzten Woche keinen der Verantwortlichen mehr um den Schlaf. „Erst ab drei Millionen machen wir uns Sorgen“, hatte schon vorher Bürgermeister Walter Veltroni erklärt.

Ganz gewiss keine Routine war die Messe gestern dagegen für den Protagonisten: für Papst Benedikt XVI. Er, der feierlich in sein Amt eingeführt wurde, zeigte jedoch, dass er offenkundig Spaß an dem neuen Job hat; Ratzinger strafte während der liturgischen Handlungen genauso wie bei seiner ersten Fahrt durch die Menge auf dem „Papa-Mobile“ erkennbar gut gelaunt die Legende Lügen, er hätte es mit seinen 78 Jahren eigentlich lieber gesehen, wenn dieser Kelch an ihm vorbeigegangen wäre.

Papst Benedikt dagegen nahm den Kelch freudig an – und setzte im Ritual erst einmal Zeichen eines klaren Bekenntnisses zur Tradition. Kern der Zeremonie waren die Verleihung des „Palliums“ – einer Wollstola, die „das Joch des Herrn“ (Ratzinger) symbolisiert – und des Fischerrings. Ratzinger kehrte bei beiden Symbolen um einige Jahrhunderte hinter seine Vorgänger zurück, griff beim Pallium auf dessen im ersten Jahrtausend und beim Fischerring auf die im Mittelalter gebräuchliche Form zurück.

Doch in seiner Predigt vermied es der neue Papst zugleich aufmerksam, sich dezidiert als der alte Konservative zu bekennen. Nein, er „brauche hier nicht ein Regierungsprogramm vorzustellen“, ließ er die Gläubigen und die Welt wissen – Auskünfte übers operative Geschäft, über die Rolle der Frauen in der Kirche, über Ökumene, über das Verhältnis zwischen Vatikan und Ortskirchen waren nicht zu erwarten. In der letzten Woche war schon aus Vatikankreisen gestreut worden, Papst Benedikt XVI. denke zum Beispiel über eine Rentenreform für Bischöfe – ganz im Geist der Zeit natürlich eine Anhebung des Rentenalters –, ja sogar über die Zulassung wiederverheirateter Geschiedener zum Abendmahl nach.

Statt konkreter Regierungshandlungen stand im Zeichen der sofort nach der Wahl eingeleiteten Imageoperation „von Kardinal Ratzinger zu Papst Benedikt“ die Abteilung „Grundwerte“ im Mittelpunkt. Diesmal wetterte Ratzinger nicht gegen die um sich greifende „Diktatur des Relativismus“, sondern gab sich als milder, versöhnlicher „Pastor“, der über das von Jesus an Petrus delegierte Geschäft des Menschenfischens sinnierte.

Für die einen geißelte er da zum Beispiel die „äußeren Wüsten“, in denen sich die Menschen gefangen fänden, die „Wüsten des Hungers und der Armut“ – wer eine Kirche der Armen fordert, darf sich da bestätigt fühlen. Aber für die anderen gab es dann gleich den Angriff auf die „inneren Wüsten“, deretwegen die äußeren Wüsten erst so recht gedeihen, vorneweg natürlich die „Wüste des Gottesdunkels“. Und für alle gab es die Feststellung: „Das eigentliche Regierungsprogramm aber ist, nicht meinen Willen zu tun, nicht meine Ideen durchzusetzen, sondern gemeinsam mit der ganzen Kirche auf Wort und Wille des Herrn zu lauschen und mich von ihm führen zu lassen, damit er selbst die Kirche führe in dieser Stunde unserer Geschichte.“ Ist das nun ein Bekenntnis zu mehr Kollegialität – oder bloß die Feststellung dessen, was für jeden Papst klar ist, nämlich dass er da einen Stellvertreterjob tut?

Doch schließlich zählt bei diesem Amtsantritt vor allem das Atmosphärische – und da gab Benedikt sich weit milder, als Ratzinger es noch vor wenigen Tagen war. Ein herzlicher Gruß an die Juden, freundliche Worte für die Brüder der anderen christlichen Konfessionen, ja selbst für die „Ungläubigen“, und natürlich für die eigene Kirche jede Menge Erinnerungen an Johannes Paul II., an seine Hinwendung zur Jugend, an seine Hinterlassenschaft – „eine junge Kirche“. Nicht aber an die Mutter Maria: Ratzingers Glauben steht ganz im Zeichen des Herrn Jesus.

Dieser „Papst für alle“ arbeitet weiter an dem Projekt, das gerade die italienischen Medien in den letzten Tagen kräftig begonnen haben. Ihnen obliegt nicht nur die Aufgabe, den Theocon in einen Sympathieträger zu verwandeln; sie müssen zudem noch das Werk erledigen, den eigentlich südlich der Alpen ziemlich unsympathischen „Tedesco“ den Menschen nahe zu bringen. Und selbst ziemlich Vatikan-ferne Zeitungen wie die Repubblica drücken sich nicht. Da lernen die Leser einen Ratzinger kennen, der in der Tiroler Kneipe um die Ecke gern Knödel mit Weißbier („Aber nur ein Schluck!“) zu sich nimmt, der mit dem Elektriker von nebenan ein Schwätzchen hält – ja der streunende Katzen regelmäßig mit den Essensresten von der Tafel seiner Exzellenz versorgte und auf Bayrisch mit ihnen plauderte.

Mit plötzlichen Kehrtwenden aber darf diese Imageoffensive nicht verwechselt werden. Als gestern bei der Messe das Abendmahl anstand, kam gleich in mehreren Sprachen über Lautsprecher die Durchsage, zur Kommunion seien natürlich nur „die Gläubigen der katholischen Kirche“ gebeten. Als Protagonist eines interkonfessionellen Abendmahls wollte der Papst, der als Kardinal diese „Verirrungen“ so heftig bekämpft hatte, sich nun doch nicht wiederfinden.