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: Ein Minister im Büßerhemd

Es hat sich eingebürgert, den Gang nach Canossa als Metapher für eine tiefe Demütigung zu benutzen. Was dabei übersehen wird: Heinrich IV. hat in Italien einen politischen Sieg errungen. Indem er als Büßer zum Papst ging, zwang er diesen, mit ihm zu verhandeln, ihn vom Kirchenbann zu lösen und ihn wieder als Herrscher anzuerkennen. Joschka Fischer hat gestern seinen Gang nach Canossa angetreten. Aber es ist fraglich, ob die fast lustvolle Präsentation seines Büßerhemdes ausreichen wird, den – auch selbst verschuldeten – Schaden wenigstens zu begrenzen.

KOMMENTARVON BETTINA GAUS

Gleich zu Beginn seines Auftritts dürften politische Freunde und Anhänger des Außenministers erleichtert aufgeatmet haben. Joschka Fischer, der in den letzten Wochen seinen weithin gerühmten politischen Instinkt verloren zu haben schien und tief verunsichert wirkte, hatte zumindest rhetorisch zu seiner alten Form zurückgefunden. Angriffslustig, gelegentlich ironisch, immer souverän – in seinem mehr als zweistündigen Eingangsstatement ganz Herr des Verfahrens.

Das änderte sich allerdings, als er nicht mehr alleine entscheiden konnte, worüber er zu reden wünschte, sondern sich dem Wissensdurst der Abgeordneten stellen musste. Da wich Fischer aus, zauderte, konnte sich auch an Sachverhalte nicht erinnern, von denen wenig glaubhaft ist, dass er sie tatsächlich vergessen hat. Die Frage beispielsweise, wie die Kontroverse mit Innenminister Schily über die Praxis der Visaerteilung eigentlich beigelegt worden ist. Derartige Gedächtnislücken kennt man schon von Zeugen früherer Untersuchungsausschüsse. Mit beißendem Spott hat Joschka Fischer so etwas früher kommentiert.

Viel Neues hat die Befragung des Außenministers erwartungsgemäß nicht ergeben. Die Fehler, die er gestern einräumte, hatte er schon vorher in Interviews zugegeben. Erfreulich war immerhin, dass er politisch Stellung bezog und die Liberalisierung des Visaverfahrens grundsätzlich für richtig erklärte. Fischer hat es schon immer gut verstanden, seine – angeblichen oder realen – Gefühle zur Schau zu stellen und so für seine Ziele einzusetzen. Gestern wollte er gar nicht mehr aufhören, wieder und wieder die volle Verantwortung zu übernehmen. Für das, und nur für das, was sich ohnehin nicht bestreiten ließ.

Ein Mann, der tapfer zu sich steht: Das ist eine kleidsame Rolle. Ein einziger Auftritt kann jedoch keine Serie von Pannen und Peinlichkeiten aufwiegen, nicht einmal dann, wenn die Performance ohne jeden Fehl und Tadel gewesen wäre. Joschka Fischer ist in den letzten Wochen entzaubert worden, und das allein ist ein großer Erfolg für die Opposition. Selbst wenn der Minister nicht zurücktritt. Müsste er zurücktreten? Noch hat der Ausschuss seine Arbeit nicht beendet. Es wird für Fischer immer enger. Aber das, was bisher bekannt geworden ist, reicht nicht für einen Rücktritt. Einen Fehler darf auch ein Minister machen.