Schröder umgarnt Franzosen

Kanzler kommt Präsident Chirac zu Hilfe und appelliert an das Nachbarland, dem Referendum zur EU-Verfassung zuzustimmen. Lafontaine macht Werbung fürs „Non“

PARIS afp/ap ■ Kanzler Schröder (SPD) und Frankreichs Staatschef Chirac haben eindringlich an die Franzosen appelliert, die EU-Verfassung anzunehmen. Durch die Verfassung entstehe ein „sozialeres, unabhängigeres, mächtigeres Europa“, sagte Chirac gestern beim deutsch-französischen Gipfel im Pariser Élysée-Palast. Schröder sprach von einer „historischen Gelegenheit“, die nicht verpasst werden dürfe.

Damit die Verfassung in den 25 EU-Ländern in Kraft treten kann, müssen alle Mitgliedstaaten zustimmen. In Frankreich gibt es am 29. Mai ein Referendum; die Umfragen sehen seit Wochen die Gegner der Verfassung vorn.

Schröder betonte, dass die Idee eines vereinten Europas in Frankreich entstanden sei. Bei der Abstimmung über die Fortführung einer solch „großartigen Idee“ dürfe die „eine oder andere Verärgerung“ nicht ausschlaggebend sein. Er sei „ganz guten Mutes“, dass sich diese Auffassung in Europa durchsetzen werde.

Wer die Ablehnung der Verfassung verfolge, nehme die Verantwortung auf sich, 50 Jahre europäische Einigung zu unterbrechen, warnte Chirac. Dadurch würde Frankreich geschwächt und das Feld wäre frei für die von vielen Franzosen befürchtete „ultraliberale Entwicklung“. Der Konservative verwies darauf, dass die strittige Richtlinie zur Liberalisierung der Dienstleistungen am Widerstand auch Frankreichs gescheitert sei. „Die so genannte Bolkestein-Richtlinie gibt es nicht mehr“, so Chirac.

Unterdessen warb der frühere SPD-Chef Oskar Lafontaine für ein französisches Nein. Wenn er selbst an einer Abstimmung teilnehmen könnte, würde er gegen die EU-Verfassung votieren, sagte er der kommunistischen Tageszeitung L’Humanité. Das Europa der 25 sei „zu groß“ geworden. Er trete für eine deutsch-französische Föderation und einen „harten Kern“ innerhalb der EU ein, in deren Rahmen eine „andere Wirtschafts- und Sozialpolitik“ möglich seien.

Expräsident Valéry Giscard d’Estaing hielt den Franzosen gestern vor, Europa zum Sündenbock für hausgemachte Probleme zu machen. Als Chef des EU-Reformkonvents hatte er maßgeblichen Anteil an der Ausarbeitung der Verfassung.

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