Schwache Gegenwehr stärkt Nazi-Schläger

Die Zahl rechtsextremer Straftaten steigt wieder stark an. Fachleute machen das neue Selbstbewusstsein der Neonazis nach den Landtagswahlen im Osten und zu schwache Reaktionen der Zivilgesellschaft dafür verantwortlich

BERLIN taz ■ Der Trend ist erschreckend und ruft nach einer Erklärung: Die Zahl rechtsextremer Straftaten ist seit 2001 von 10.054 auf 12.051 Delikte im Jahr 2004 gestiegen. Besonders hoch ist der Anstieg um 1.256 Straftaten vom Jahr 2003 zum Jahr 2004.

Die Daten stammen laut dem Berliner Tagesspiegel aus einer Liste, die zwischen Bundeskriminalamt, den Landeskriminalämtern und dem Bundesinnenministerium kursiert, die Behörden wollen die Zahlen vor dem Erscheinen des Verfassungsschutzberichtes im Mai miteinander abstimmen. Die Behörden zählten nicht nur mehr Propagandadelikte – Grölen von NS-Parolen oder Hitlergruß –, sondern auch mehr Gewalttaten: 709 waren es vor vier Jahren gewesen, im vergangenen Jahr kamen die Sicherheitsbehörden auf 776 Körperverletzungen und andere Delikte.

Rechtsextremismusexperten und Berater von Opfern rechtsextremer Gewalt führen den Anstieg im Jahr 2004 vor allem auf die Wahlerfolge der NPD und der DVU im Osten zurück: „Nach den Landtagswahlen sind die rechtsextremen Schläger breitbeinig durch jedes Dorf marschiert und haben jeden verprügelt, der ihnen nicht genehm war“, sagt Anetta Kahane von der Amadeo-Antonio-Stiftung. Auch David Begrich, der sich vor allem mit der militanten Neonazi-Szene beschäftigt, führt den Anstieg auf ein neues Selbstbewusstsein der Rechtsextremen zurück. Seiner Meinung nach ist aber nicht nur die Zahl der Straftaten gestiegen. „Die Gewalttaten erreichen auch wieder die Brutalität von Anfang der Neunzigerjahre.“ Verantwortlich dafür sei vor allem, dass das Umfeld der Täter oft nichts gegen ihre Einstellungen oder Taten unternimmt oder sie sogar unterstützt. Opferberaterinnen wie Anne Kretzschmar aus dem sächsischen Görlitz stellen zudem fest, dass immer mehr Frauen auch eine Rolle bei rechtsextremen Straftaten spielen. Zwar gehe die direkte Gewalt meist noch immer von Männern aus, aber Frauen würden zunehmend Straftaten anstiften oder Schläger anfeuern.

Doch auf den zweiten Blick ist der Trend weniger eindeutig als die offizielle Statistik suggeriert: So haben die Opferberatungen vor 2004 meist keinen Anstieg, sondern eine gleich bleibend hohe Zahl rechtsextremer Übergriffe gezählt – und die Zahlen der Landesbehörden sind nicht unumstritten, auch weil sie auf wenig transparente Weise zustande kommen. (taz berichtete) Die Kriterien, nach denen die Länder rechtsextreme Gewalttaten zählen, sind nicht öffentlich. „So lange diese Geheimhaltung nicht aufhört, können wir über rechtsextreme Gewalt oft nur spekulieren“, sagt die innenpolitische Sprecherin der Grünen, Silke Stokar. Selbst für Politiker der Regierungsfraktionen sei es „äußerst schwierig“, überhaupt zu erfahren, wie die Zahlen zustande kämen. So könnte der Anstieg, den die Behörden gezählt haben, auch damit zu tun haben, dass die Kriterien für rechtsextreme Straftaten seit 2000 mehrmals verändert worden sind. „Um solche Entwicklungen zu erklären, brauchen wir einfach mehr Informationen“, sagt Stokar. DANIEL SCHULZ