Türkei und Armenien kommen sich näher

Armeniens Präsident spricht sich für Historikerkommission aus. Aber erst nach Aufnahme diplomatischer Beziehungen

ISTANBUL taz ■ In die seit 1994 eingefrorenen türkisch-armenischen Beziehungen kommt neue Bewegung. Mit der Forderung nach Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen antwortete Armeniens Präsident Robert Kotscharijan in einem am Dienstag veröffentlichten Brief auf eine Aufforderung des türkischen Premiers Tayyip Erdogan, eine gemeinsame zwischenstaatliche Kommission zur Untersuchung der Massaker an der armenischen Bevölkerung des Osmanischen Reiches bilden. „Lassen sie uns normale Beziehungen aufnehmen, dann können wir uns auch gemeinsam der Untersuchung der Vergangenheit widmen“, schrieb Kotscharijan. Ohne an die Gegenwart und die Zukunft zu denken, könne man sich auch nicht gemeinsam der Vergangenheit zuwenden.

Erdogan hatte seinen Vorschlag bei einer Debatte über die Massaker an den Armeniern des Osmanischen Reiches gemacht, während der Politiker aller türkischen Parteien erneut bestritten, dass die damaligen Ereignisse den Charakter eines Völkermordes hatten. „Forschen wir in den Archiven beider Seiten gemeinsam nach der Wahrheit“, hatte Erdogan Armeniens Regierung aufgefordert.

Armenien hat ein solches Ansinnen bislang immer mit dem Argument abgelehnt, die Geschichte sei erforscht und der Völkermord historisch nicht zu bestreiten. Gespräche darüber setzten deshalb zunächst ein Schuldeingeständnis der türkischen Seite voraus. Darauf hat Kotscharijan jetzt verzichtet.

Die Türkei hat Armenien nach seiner Unabhängigkeitserklärung 1991 zwar schnell anerkannt, die Grenze aber geschlossen, als Armenien in den Bürgerkrieg in Berg-Karabach eingriff. Bislang hat die Türkei für die Aufnahme diplomatischer Beziehungen und die Öffnung der Grenze zur Bedingung gemacht, dass die armenischen Truppen die besetzten aserischen Gebiete räumen und den Status quo ante in Berg-Karabach, das völkerrechtlich zu Aserbaidschan gehört, wiederherstellen.

In einer ersten Reaktion lehnte Erdogan gestern die Aufnahme von diplomatischen Beziehungen ab. Erst müsse die Vergangenheit geklärt werden sagte er vor Journalisten.

Nach Informationen der türkischen Presse finden bereits vertrauliche Gespräche zwischen den Außenministerien statt, wie Fortschritte in den Beziehungen erzielt werden können. Als Zeichen guten Willens hat die Türkei unlängst eine zweite direkte Flugverbindung nach Eriwan eröffnet und akzeptiert 40.000 Armenier, die in der Türkei arbeiten. Gegenüber ausländischen Pressevertretern wollte Außenminister Gül seine vertraulichen Gespräche mit seinem armenischen Partner Oskanijan nicht kommentieren. Beide Seiten seien aber an einer Normalisierung interessiert.JÜRGEN GOTTSCHLICH

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