Beweise gibt es überall

Was stellt die Globalisierung mit dem Wein an, fragt sich der Dokumentarfilm „Mondovino“

von ANDREAS BUSCHE

Der edelste Tropfen, den ich mir eine Zeit lang regelmäßig gönnte, war der Saft frisch gepresster Blutorangen, die auf sizilianischem Lavagestein gewachsen waren. Die 0,7-Liter-Flasche kostete sechs Dollar. Bis zu einem gewissen Grad kann ich daher die Aufregung in Jonathan Nossiters heillos-chaotischer Weinreportage „Mondovino“ um die Philosophie des „Terroir“ nachvollziehen. Dieser Begriff beschreibt zunächst nicht mehr als den Grund und Boden, auf dem ein Wein angebaut ist. Da Boden mittlerweile ein belasteter Begriff ist, überrascht es kaum, wenn einige Weintraditionalisten in „Mondovino“ ihre familiären Verflechtungen mit Mussolini ins Spiel bringen oder kurz ins Stocken geraten, wenn Nossiter auf möglichen Antisemitismus im internationalen Weinhandel zu sprechen kommt. Der Connaisseur hingegen meint die Qualität eines Weines, wenn er vom „Terroir“ schwärmt. Es ist die Erde mit ihren regionalen Eigenheiten, die dem Wein erst seinen unverwechselbaren Charakter verleiht. „Terroir“ ist die Seele eines Weines.

Diese Seele ist in „Mondovino“ bedroht. Skrupellose Profiteure – Amerikaner, natürlich – haben sich zusammengeschlossen, um die „McDonaldifizierung“ der Weinkultur zu betreiben. Nur ein Haufen tapferer Gallier, Pardon: Franzosen trotzt dem Bollwerk der Globalisierung – und greift dabei auch zu extremen Mitteln. Aimé Guibert zum Beispiel, ein rechter Kämpe der französischen Weintradition, musste vor einigen Jahren einen kommunistischen Bürgermeister ins Amt bringen, um die Übernahme einiger Parzellen Land durch die kalifornische Modavi-Dynastie zu verhindern. Schließlich bringt das Languedoc namhafte Weine hervor – französische Weine, versteht sich. Und das soll auch so bleiben.

In Cannes hat „Mondovino“ im letzten Jahr bei der Kritik nur wenig Begeisterung ausgelöst, nicht zuletzt wegen Nossiters stark verkürzter Polemik. Trotzdem fällt es schwer, sich dem Charme dieses kruden Machwerks zu entziehen. Wie ein blutiger Anfänger folgt Nossiter den Spuren einer transglobalen Weinverschwörung, stapft in die Büros der Weinlobbyisten und irritiert den Zuschauer mit halsbrecherischen Reißschwenks im Kriegsreporterstil. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren: Nossiter, selbst ein Liebhaber guten europäischen Weines, befindet sich im Kriegszustand. Die Plansequenz ist seine gefährlichste Waffe.

Einer hat es ihm besonders angetan: der französische „Weinberater“ Michel Rolland, von der Statur eines Pavarotti und ausgestattet mit dem Sendungsbewusstsein des Rama-Mädchens. Rolland lässt sich in seiner Privatlimousine durch Nossiters Film kutschieren; das Handy, in das er regelmäßig enthusiastisch „micro-oxigenate“ schreit, immer am Ohr. Die Modavis aus dem Napa Valley gehören zu seinen besten Kunden, und hier schließt sich in „Mondovino“ die Front des „Bösen“ auch wieder. Nossiter hat, daran lässt er nicht den geringsten Zweifel, wenig übrig für neumodischen Schnickschnack wie die „Mikrooxigenisation“ von Weinen. Eine Methode übrigens, die keiner von Rollands Kunden so richtig zu verstehen scheint. Sicher ist nur, dass sie sich mit der Idee des „Terroir“ nicht verträgt.

Nossiters eigene Methode dagegen ist schnell durchschaut – nicht nur, weil sie seit dem Erfolg von Michael Moore starke Abnutzungserscheinungen aufweist. Ihr wohl markantestes Merkmal ist, dass Nossiter seine Beweise überall zu finden scheint. Ob eine Autogrammkarte von Ronald Reagan oder eine flatulierende Bulldogge: Irgendwann gerät alles in den Sucher der Digitalkamera – als Zurschaustellung gnadenloser Selbstevidenz. So entpuppt sich Nossiters technisches Unvermögen sehr bald als kalkulierte Masche.

Es ist der Hundenarr Nossiter, der uns am Ende versöhnlich stimmt. Überall entdeckt er Hunde – auf Châteaus, im New Yorker Straßenverkehr, unterm Esstisch. Minutenlang sind sie im Bild zu sehen, bei allen möglichen Verrichtungen – fressen, putzen, pinkeln, furzen –, und lassen Nossiter noch die größte Weinpanscherei für einen Augenblick vergessen. Es ist eine bizarre Obsession – wie im Grunde die Sache mit dem Wein.