Theater auf dem Theater

Im Alltag offenbaren sich Tragödien: In seiner Inszenierung von Yasmina Rezas „Ein spanisches Stück“ für das Hamburger Schauspielhaus behält am Ende der Regisseur Jürgen Gosch das letzte Wort

VON SIMONE KAEMPF

Am Morgen der Aufführung verbreitete sich die Meldung, dass Maria Schell gestorben sei. Im Radio sprach sich die Schauspielerin mit brüchiger Stimme selbst ihren Nachruf. „Ich hatte das große Bedürfnis, verstanden zu werden.“ Ein melancholischer Theaterkampf-Satz, bei dem nicht unbedingt die Kostümfetzen fliegen, der aber auf den Abend vorbereitete: Die Welt des Theaters steckt voller Dramen, und die Schauspielerin hat viele Schwestern im Geiste. In Yasmina Rezas „Ein spanisches Stück“ ist das zum Beispiel Nuria, die als junge Schauspielsoldatin brav jede Rolle spielte. Mit der Strategie, nie aus der Reihe zu tanzen, hat sie es bis nach Hollywood gebracht. Doch sie träumt von der großen unerfüllten Rolle: ausgerechnet die des unbeachteten hässlichen Entleins Sonia aus einem Tschechow-Stück. Die einzige Rolle, mit der sie sich zeitlebens identifiziert. Aller Karriereweg heilte sie nicht von den Selbstzweifeln. Spätestens mit ihrem Erfolg ist ihr klar, dass das Leben nicht aus Optionen besteht und der pubertäre Individualismus eine Illusion war.

Aurelia leidet auf ähnliche Weise. Als Schauspielerin spielt sie unpopuläre schwierige Stoffe, mit denen sie im Schatten der kleinen Schwester bleibt. Neid, Zweifel, verbohrte Kunstgläubigkeit treten in Figuren und Genres gegeneinander an. Aurelias Ehemann ist Mathelehrer, die Mutter Pilar Hausfrau und ihr neuer Geliebter Fernan, ein „Haushofmeister von heute“: ein Hausverwalter, der mit seiner Leidenschaft fürs Mietrecht wie ein Künstler die Luft zwischen den Zeilen zum Brennen bringt. „Nicht gerade meine Rolle“, so kommentiert auf der Bühne wiederum Manfred Zapatka diese Rolle. Es geht ums Theater-auf-dem-Theater, das Yasmina Reza wieder massentauglich macht. Nicht, dass man dieses Genre jemals wieder mit Leben gefüllt sehen wollte. Aber bei Reza steckt darin mehr als nur ein Gag. Ihr Stück funktioniert wie eine Russenpuppe, die am Ende den Schauspieler wie einen zappelnden Regenwurm nach dem Sommergewitter ans Licht holt. Nackt, zappelnd, mit dramatischem Potenzial.

Die fünf Figuren des Stücks würden jedoch selbstquälerisch in einer Endlosschleife leerdrehen, wenn nicht Regisseur Jürgen Gosch das letzte Wort behielte. Einerseits hält er den Abend atmosphärisch in dem Binnenreich einer Theaterprobe, andererseits bewegt er sich von hier zu den privaten Rollen hin, die auch der Künstler am wenigsten beherrscht: die der guten Mutter, des treuen Ehemanns, der attraktiven Geliebten. Im nicht bestandenen Alltag offenbaren sich Tragödien.

Traurig-dilettantische Szenen mischen sich mit Improvisationen und Brüchen. Man kann der Formfindung bei der Arbeit zusehen, und so raumfüllend macht das bei Gosch immer wieder besonders Spaß. Dieses strikte formale Prinzip fordert natürlich auch Opfer. Das Drama vertieft sich nicht, wenn sich Situationen zuspitzen, sucht man den Kehraus zurück ins reine Probenspiel. Wenn Wiebke Puls als Aurelia eine Raucherpause einlegt und dann mit einem Putzfimmel die eigene Unruhe in Schach hält, zieht sich darin körpersprachlich schon ihre ganze Not zusammen. Ganz die Tochter von Rosel Zech als Pilar, die hausfraulich kompakt die Rolle der spät Verliebten meistert. Thomas Dannemann verkörpert als alkoholabhängiger Ehemann am lebendigsten die Verschmelzung von Fiktion und Wirklichkeit zu einem, der mit dem Leben ein ziemliches Problem hat. Und sich deswegen zu schönem Eigensinn verführen lässt. Mehr Schicksalsweg ist nicht drin. Reicht aber, um diesem Abend mehr Energie als so manchem anderem Drama zu verleihen.