zwischen den rillen
: Aus Springsteen wird kein Dylan mehr

Vielen aus der Seele sprechen und keinem wehtun, aber das mit Anspruch: die neue Bruce-Springsteen-CD „Devils & Dust“

Grundsätzlich verschiedene sexuelle und politische Präferenzen dürften Klaus Wowereit und Claudia Roth diese Woche nicht davon abgehalten haben, sich ein und dieselbe Platte ins Regal zu stellen: „Devils & Dust“, das 13. Studioalbum von Bruce Springsteen. Diese beiden, die schon auf Springsteen- Konzerten gesehen wurden, dürften zwar kein repräsentativer Querschnitt durch seine Anhängerschaft sein, aber illustrieren Springsteens vornehmste Fähigkeit: vielen aus der Seele zu sprechen, ohne irgendjemandem wirklich wehzutun.

„Devils & Dust“, hat Springsteen im Vorfeld verlauten lassen, sei in gewisser Weise eine Fortsetzung des nun exakt zehn Jahre alten Album „The Ghost of Tom Joad“, für das er damals inkognito durchs Land reiste, um Geschichten zu sammeln und den Zustand Amerikas zu kartografieren. Wer daran anknüpft, muss sich natürlich mit Krieg beschäftigen, also schlüpft Springsteen im Titelsong in die Rolle eines Soldaten im Irak. Was um einiges glaubwürdiger wirkt, wenn sie nicht wie der Post-9/11-Songzyklus „The Rising“ von 2002 vom zum Pathos neigenden Wumms der E-Street Band unterlegt sind. Also wurden die alten Kumpels – wie schon für „Tom Joad“ und davor „Nebraska“ – von ihrem Boss beurlaubt.

So klingt „All I’m Thinking About“ denn auch nicht nach Springsteen, sondern schon fast wie ein Volkslied, wie aufgenommen von einem verzottelten Musikethnologen in einer Redneck-Siedlung an einem Ort mit einem irgendwie indianisch klingenden Namen. Auch wenn in „All The Way Home“ das Schlagzeug arg hohl donnert, bemüht sich Springsteen doch um Innerlichkeit und Intimität: Der Ausdruck operiert am Rande des Arthritischen. Springsteen klingt so müde wie sein Material, vielleicht zollt er auch nur dem Alter Tribut, der Weisheit, die sich mit den Jahren einstellt, auch wenn sie lange nicht so karg daherkommt wie auf „Nebraska“: Diesmal gönnt er dem Büßerhemd ein wenig Glimmer. Trotzdem: Dass Geigen statt Clarence Clemons’ Saxofon zum Einsatz kommen, die insgesamt magere, zurückhaltende Instrumentierung, der Verzicht auf die Mundharmonika, all das tut selbst einem Song wie „Long Time Comin’“ gut, dessen ausgelutschte Steigerungsdramaturgie zum Mitgrölrefrain hin man sich auch prima auf „The Rising“ hätte vorstellen können.

Denn auch auf „Devils & Dust“ ist nicht zu überhören, was Springsteen nun mal ausmacht: Die Selbstgefälligkeit des Volkstribuns ist ihm nicht fremd und die Lyrik gerät ihm mitunter so klischeebeladen wie die Inszenierung des einsamen Schmerzensmannes auf der beigefügten DVD, die Springsteen zeigt, wie er fünf der neuen Songs in einem halb verlassenen Holzhaus allein auf der akustischen Gitarre intoniert. Das will weniger politisch verstanden sein denn als Ausdruck eines Patriotismus, den er mit aller Macht gegen die momentan Herrschenden verteidigen will. Die schweben über nahezu jedem seiner Songs wie ein unverdient über das amerikanische Volk gekommener böser Fluch, als wären sie nicht doch demokratische Repräsentanten, die man bei gegebener Gelegenheit auch wieder hätte abwählen können.

Statt sich mit politischen Analysen aufzuhalten, wagt der mittlerweile 55-jährige Springsteen, sich seines eigenen Status bewusst, lieber den Anschluss an ewige amerikanische Mythen. Es ist der Geist des Blues, der uns hier entgegenschlägt, die fatalistische Klage über die herrschenden Zustände, verknüpft aber mit der Euphorie der Pilgerväter, dass dies prinzipiell schon ein prima Land ist: Man muss nur was draus machen. George Bush Jr. hält Springsteen dafür nicht geeignet, das weiß man spätestens, seit er sich im vergangenen Jahr wie viele andere Musiker im Wahlkampf für John Kerry engagiert hat. Der, als studentenbewegter Vietnam-Veteran mit aufrechten Überzeugungen in einer korrupten Politik, ist natürlich auch einer, der ganz dem zerrissenen Bild entspricht, das Springsteen so überzeugend wie niemand sonst vom Mythos Amerika zu zeichnen vermag.

Natürlich ist auch dieses Album Teil eines nun schon Jahrzehnte währenden, verzweifelten Versuches, nicht nur als Rockmusiker, sondern als Songpoet, als Dichter gar wahrgenommen zu werden mit Songs über Sex mit einer Prostituierten, über das Versagen, über Spiritualität. Aber aus Springsteen wird in diesem Leben kein Dylan mehr, so sehr er das Bob gewordene Enigma des Singer/Songwritertums auch seit seiner Jugend verehren mag. Aber immerhin hat sich Springsteen mittlerweile entwickelt vom euphorischen Apologeten des amerikanischen Versprechens zu einem knarrigen Chronisten des amerikanischen Albtraums. Diese Mutation ist mit „Devils & Dust“ endgültig abgeschlossen. Von nun an darf Springsteen ein amerikanischer Klassiker geheißen werden.

THOMAS WINKLER

Bruce Springsteen: „Devils & Dust“ (Columbia/Sony)