Israelis wollen Hitler sehen

Mitte Mai läuft Bernd Eichingers Führerbunkerdrama „Der Untergang“ in drei israelischen Kinos an. Die Kinogänger selbst trafen die Entscheidung: Das positive Votum eines Testpublikums hat den Weg für den Film frei gemacht

Die deutliche Entscheidung für den Film überraschte die Besitzerin der Kinokette

„Der Untergang der israelischen Gesellschaft“, so beginnt ein Beitrag der Internetdebatte zur Entscheidung, Bernd Eichingers Film auch in israelischen Kinos zu zeigen. So erregt wie kontrovers melden sich die Leser der Onlineausgabe von Israels auflagenstärkstem Blatt Yediot Achronot zu Wort. Da ginge es um „Informationsfreiheit“, die „im Zeitalter des Internets ohnehin nicht aufzuhalten“ sei, so die eine Seite, während die Gegner erbost dazu auffordern, den „Film doch gleich im Holocaust-Museum“ zu zeigen, oder fast hilflos fragen: „Warum müssen wir uns immer selbst ins Bein schießen?“

Eichinger verfilmte auf der Grundlage von Aufzeichnungen der letzten Sekretärin in der Reichskanzlei, Traudl Junge, die letzten Tage Adolf Hitlers. Die Kinogänger selbst trafen die endgültige Entscheidung über das Für und Wider, den „Untergang“ auch auf die israelische Leinwand zu bringen. Rund eintausend per Losverfahren ausgewählte Abonnenten hatten Gelegenheit, sich in Probevorführungen selbst ein Bild zu machen und anschließend ihre Stimme abzugeben. 91 Prozent der Zuschauer entschieden für den Film, der ab Mitte Mai zunächst auf die Leinwand von drei der insgesamt sieben Bühnen der Kinokette „Lew“ kommt.

Ein derartiges Auswahlverfahren ist bislang ohne Beispiel. „Wir haben mit einer Mehrheit für den Film gerechnet“, so Nurit Schani, die Besitzerin der Kinokette, „aber eine so deutliche Entscheidung hat auch mich überrascht.“ Schani, deren Eltern und Schwiegereltern vor Hitler fliehen mussten, sei sich bewusst darüber, dass es noch vielen Israelis „schwer fällt, Hitler als Mensch zu sehen“, dennoch dürfe man den Film nicht der Öffentlichkeit vorenthalten, die neugierig ist und die „sich auf diesem Weg dem schmerzlichen Thema stellen will“. Letztendlich spiele Hitler „in der Geschichte unserer Nation“ eine wichtige Rolle.

Nach Auskunft von Nurit Chordi, Sprecherin der Kinokette, habe ein „wahnsinniges Interesse“ unter den Abonnenten bestanden, die Probevorführungen von „Der Untergang“ zu besuchen. Die Ambivalenz der Veranstalter bedürfe keiner Erklärungen, meint Chordi, aber: „Wenn wir der Klischeevorstellung folgen wollten, es sei besser, auf die Ausstrahlung zu verzichten, um nur nicht die Gefühle der Holocaust-Überlebenden zu verletzten, dann dürfte in Israel vielleicht niemals ein Film gezeigt werden, der sich mit dem Holocaust im Besonderen und mit Deutschland im Allgemeinen befasst.“

Eichingers „Untergang“ sei in Deutschland ein Kassenschlager gewesen, der „beeindruckende Kritiken“ bekam, und deshalb, so Chordi, von „gesellschaftlicher, filmischer und historischer Bedeutung“. Den Film nicht zu zeigen, wäre ein „Akt der Zensur“. Zudem werde niemand dazu gezwungen, sich ein Ticket zu kaufen und den Film anzusehen. In Israel leben heute noch rund 280.000 Überlebende des Naziregimes. Am 5. Mai ist Holocaust-Gedenktag. Um überflüssige Provokationen zu vermeiden, läuft der Film erst zwei Wochen später, am 19. Mai, an.

SUSANNE KNAUL