Italienische Momente

Das als „Battle of Britain“ angekündigte Champions-League-Halbfinale zwischen Chelsea und Liverpool erweist sich als äußerst langweilig und endet mit einem torlosen Unentschieden

AUS LONDON RAPHAEL HONIGSTEIN

Dass Liverpools Assistenztrainer nach der Partie für das Auslaufen viele Hütchen auf den Platz stellte und Milan Baros und Djibril Cissé noch einmal zum Sprintduell bat, war bemerkenswert. Aber nicht allzu sehr. Das Staunen über Rafael Benítez’ ausgeklügeltes Trainingsprogramm hatte sich sehr schnell wieder verflüchtigt; zurück blieb eine schwere 0:0-Melancholie, die wie eine kratzige Wolldecke auf den Gemütern der Beobachter lag. Und so machte zur dringend nötigen Erheiterung bald ein zynischer Witz in der Mixed Zone die Runde. Frage: Warum war die Partie Milan gegen den PSV Eindhoven am Abend zuvor ein so viel besseres Spiel gewesen? Antwort: Da hatte schließlich nur eine italienische Mannschaft mitgespielt.

Die mitgereisten Fans des FC Liverpool feierten das torlose Unentschieden an der Stamford Bridge natürlich wie einen Sieg. Dem neutralen Zuschauer aber hatte sich angesichts der gänzlich spannungsfreien zweiten Halbzeit tatsächlich der unangenehme Eindruck aufgedrängt, soeben einem Gastspiel der italienischen Serie A beigewohnt zu haben. Nicht ungeschliffene englische Angriffslust, sondern die tief verankerte Furcht vor einem Gegentor ist in Italien die stilprägende Emotion. Und genau so hatte leider eben auch die von einem Portugiesen und einem Spanier zum Null-Event gecoachte „Battle of Britain“ über weite Strecken ausgesehen.

Die aufregenden Momente waren schnell katalogisiert. Der FC Chelsea wirkte wie schon in den vergangenen Spielen ausgebrannt und hatte genau zwei gute Chancen. Didier Drogba, am Mittwoch mehr als Stolperer denn als Rammbock auffällig, verzog beinahe schon kläglich aus sechs Metern. Und Frank Lampard drosch einen Volley weit über den Kasten des FC Liverpool, obwohl der nur zwei Meter entfernt war.

Auf der anderen Seite parierte Petr Cech großartig den Kopfball von Baros; mit dem Schüsschen von Jon Arne Riise hatte er kaum Probleme. Mehr ließ Benítez’ ultradefensive Taktik nicht zu, mehr schienen beide Kontrahenten nicht zu wollen. Nach dem Seitenwechsel kam man sich dann überhaupt nicht mehr in die Quere. Bereitwillig wurde die Entscheidung auf das Rückspiel vertagt.

Ob es dann etwas spektakulärer zugehen wird, ist jedoch fraglich: Beide Mannschaften lebten in Europa bisher in erster Linie von ihrer Kontertaktik und davon, dem Gegner das Spiel zu zerstören. „Hart, unglaublich hart ist es gegen die Roten gewesen“, sagte Chelseas William Gallas, „und am Dienstag wird es noch härter werden.“ Zumindest die Stimmung dürfte an der Anfield Road um einiges aggressiver sein als im durch die hohen Eintrittspreise mittlerweile befriedeten Stadion an der Fulham Road. Meist waren nur die Gästefans zu hören.

Chelseas Idee, dem gegnerischen Anhang quasi Ehrenplätze links und rechts neben den Trainerbänken und Pressesitzen zur Verfügung zu stellen, wäre fast böse ins Auge gegangen, denn nach der Partie hatten ein paar jugendliche Stadionwärter mehrere Dutzend wütende Reds nur mit Mühe davon abhalten können, José Mourinho an den Kragen seines berühmten Armani-Mantels zu gehen. Chelseas Trainer ist nach einer verachtenden Geste gegen die Liverpool-Fans im Ligapokalfinale im Februar an der Mersey noch weniger beliebt als am Genfer See, wo die Uefa ihren Sitz hat. „Die Liverpool-Fans sollen sich lieber auf das Spiel konzentrieren. Mich anzubrüllen, bringt doch nichts“, sagte Mourinho hinterher locker.

Die Akteure beider Seiten wussten nach der Begegnung nicht so recht, wie die Chancen auf das Finale nach diesem Ergebnis einzuordnen waren. Für Liverpool-Verteidiger Jamie Carragher und Lampard war die „Hauptsache, kein Gegentor“ kassiert zu haben; Steve Finnan (Liverpool) und Cech bedauerten beide im identischen Wortlaut, dass ihre Teams keinen Treffer erzielt hatten. Joe Cole, neben dem unverwüstlichen Akkord-Grätscher Claude Makelele der Beste der Blues, verbreitete als einziger Spieler echten Optimismus: „Liverpool sind auf keinen Fall die Favoriten, wir sind noch genauso gut dabei. Wir wissen alle, wie wichtig Auswärtstore in Europa sind, und sind deswegen sehr überzeugt, dass wir weiterkommen.“ Mourinho drehte lustvoll dieselbe Schraube weiter. „Das ist ein sehr gutes Resultat für uns. Der Druck lastet jetzt auf Liverpool. Mir gefällt diese Situation“, sagte er und erinnerte gleich daran, dass er im Vorjahr mit dem FC Porto ebenfalls nach einem 0:0 im Hinspiel des Halbfinales ins Endspiel eingezogen war.

Benítez war „nicht ganz glücklich mit dem Ergebnis“, gab jedoch betont sachlich zu bedenken, dass ein Sieg in Anfield „immer möglich“ sei. Dann stellte er nüchtern fest: „Ich bin ein Zehntel von einem Prozent!“ Das war beinahe eine lustige Antwort auf Mourinhos Vermutung: „99,9 Prozent aller Liverpooler denken, dass sie schon im Finale stehen.“ Sorry. Mehr gab es leider nicht zu lachen.