Ortlose Nachtgestalten

Neuer Kanakster-Chic: Imran Ayatas Erzählsammlung „Hürriyet Love Express“

Berlin, Tübingen, Frankfurt am Main, Istanbul, Alinoluk oder namenlose Dörfer und Kleinstädte an der türkischen Mittelmeerküste – die Orte von Imran Ayatas Storys wechseln ständig. Sie wechseln deshalb, weil seine Protagonisten sich selten an nur einem Ort zu Hause fühlen. Mal sind es „getürkte Jugendliche in Almanya“ oder Berliner „Nouveau Chicque Kanakster, die sich ohne Reue amüsieren“, mal treffen wir auf (ehemalige) Linke oder aber begegnen Angehörigen der „Arsch-Generation“, wie sie in der Geschichte „Pokerci Ali“ genannt werden.

So manche von diesen Figuren hat einen deutschen Pass, und wer keinen hat, bemüht sich einen zu bekommen. Oder eine Aufenthaltserlaubnis. Oder eine Duldung. Oder eine deutsche Ehefrau, was einer Aufenthaltserlaubnis gleichkommt. Wer in Deutschland arbeitet oder studiert, macht in der Türkei Urlaub. Oder umgekehrt. Schon längst ist das Leben in Deutschland für viele kein Wunsch oder Traum mehr, sondern schlichte Realität, manchmal sogar ein Albtraum.

Allen gemein ist jedenfalls die gemischte türkisch-deutsche Lebenswelt, die Jüngeren teilen darüber hinaus die Leidenschaft für die Lieder Tarkans und vor allem für die Nächte: „Ich verliebte mich in die Nacht. Sie ist meine dauerhafteste Beziehung“, ist in der Story „Eine Mittelmeernacht“ zu lesen. „Nichts hatte uns davon abgehalten, unser Leben als eine Party zu begreifen, zu der außer uns niemand eingeladen war“, heißt es in „Wintersonne“.

Doch irrt, wer glaubt, hier werde nichts anderes als das Lebensgefühl einer deutsch-türkischen Spaßgeneration abgefeiert. Hedonismus und Trinkfestigkeit stehen häufig Seite an Seite mit Einsamkeit und der Suche nach Liebe; je mehr man über all die coolen Männer und Frauen liest, desto mehr möchte man sie wegen ihrer Melancholie und Sentimentalität nur noch bedauern. Aber dafür sind sie dann doch wieder zu normal.

Beeindruckend ist, wie lakonisch Imran Ayata wichtige und weniger wichtige Situationen im Leben seiner Figuren zu schildern weiß. In „Kanak Rave auf dem Balkon“ randaliert Mahir herum, damit die Polizei auf ihn aufmerksam wird und dabei feststellt, dass er mit einer deutschen Frau zusammenlebt. Das rettet seine Aufenthaltsgenehmigung, und „Mahir fühlte sich wie ein Kanak, der bei der Oddset-Wette fetten Reibach gemacht hatte“. Hier und da kommt bei den Storys leider allzu gefühliger Kitsch heraus, und auch so manche Metapher und und manches Bild sollte rasch überlesen, wer nicht „die Sterne applaudieren“, sondern sie doch lieber am Firmament lassen möchte.

Von Beginn an wirkt die Form der Geschichten seltsam, mal scheinen sie zu lang, mal zu kurz, das, was Ayata zu erzählen hat, will nie so ganz eine runde Story abgeben. Am Ende löst sich die anfängliche Struktur vollständig auf. Was bleibt, sind Textfragmente, die jedoch den Bewusstseinsfragmenten der Figuren in „Hürriyet Love Express“, diesen zeit-, ort- und identitätslosen Nachtgestalten, erstaunlich gerecht werden. MAIK SÖHLER

Imran Ayata: „Hürriyet Love Express. Storys“. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2005, 224 Seiten, 7,90 Euro