Bomben auf Abruf

VON ERIC CHAUVISTRÉ

Atomwaffen? Offiziell sagt die Bundesregierung weder etwas über ihre Anzahl noch über Stationierungsorte. Über die militärischen Einsatzoptionen sowieso nichts. Doch während Außenminister Joschka Fischer zu einer internationalen Konferenz über die Verbreitung von Atomwaffen (siehe unten) unterwegs ist, fordern Fachpolitiker aus den Koalitionsparteien den Abzug von in der Bundesrepublik stationierten US-Atomwaffen. „Der Abzug ist überfällig“, sagte der grüne Verteidigungsexperte Winfried Nachtwei der taz. Für die in der Bundesrepublik verbliebenen taktischen Atomwaffen gebe es „keine politische Rechtfertigung und längst keine militärische Begründung mehr“.

„Sicherheitspolitisch machen die nach wie vor in Deutschland lagernden taktischen Nuklearwaffen längst keinen Sinn mehr“, erklärte auch der rüstungskontrollpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Rolf Mützenich. Sie sollten „genauso wie die russischen reduziert und demontiert werden?“ Auch Uta Zapf (SPD), Vorsitzende des Bundestagsunterausschusses für Nonproliferation und Rüstungskontrolle, erklärte, es müsse das Ziel sein, „die taktischen Nuklearwaffen zu beseitigen“.

Die FDP-Fraktion hatte anlässlich der New Yorker Konferenz einen Entschließungsantrag in den Bundestag eingebracht, mit dem der Abzug der Waffen gefordert wurde – und damit vor allem die Grünen in Bedrängnis gebracht. Die verabschiedete Fassung der Koalitionsparteien forderte dagegen nur sehr allgemein, dass „vor allem die taktischen Kernwaffen auf beiden Seiten reduziert und demontiert werden“. Ursprünglich sollte auch in diesem Antrag ausdrücklich Bezug auf die in Europa gelagerten Atomwaffen genommen werden. Einige SPD-Verteidigungspolitiker und das Auswärtige Amt sollen damit aber nicht glücklich gewesen sein.

Angeregt wurde die Debatte durch den Washingtoner Atomwaffenexperten Hans Kristensen. Auf der Grundlage von Regierungsdokumenten und durch die Analyse von Satellitenaufnahmen konnte Kristensen belegen, dass die Anzahl der in Europa stationierten Atomwaffen der USA mit 480 Bomben in etwa doppelt so hoch ist wie bislang von Beobachtern vermutet. Einige dieser Bomben vom Typ B61 sind sozusagen alte Bekannte: Sie waren vor ihrer Modernisierung schon einmal als Sprengköpfe der Pershing-II-Raketen in Europa.

Nach den Recherchen von Kristensen sind von den 480 Waffen insgesamt 150 in Deutschland gelagert, davon 130 in Ramstein und 20 in Büchel. „Wir wissen jetzt, in welchem Umfang die Stationierung vom US-Präsidenten autorisiert wurden“, erklärte Kristensen der taz. Zuvor habe es nur Vermutungen gegeben. „Das Wichtigste ist jedoch, dass unser Bericht die Regelung für den Einsatz dieser Waffen außerhalb Europas offen legt.“ Obwohl die in Deutschland gelagerten Waffen unter dem für Europa und Afrika zuständigen US-Kommando Eucom stehen, können sie auch in dem für den Nahen und Mittleren Osten zuständigen US-Regionalkommando Centcom eingesetzt werden. „Diese Atomwaffen haben jedenfalls nicht nur eine politische Funktion“, meint Kristensen, „sonst gäbe es nicht diese detaillierten Pläne für ihren Einsatz.“

Mit Blick auf die Verpflichtungen Deutschlands unter dem Nichtverbreitungsvertrag ist relevant, dass 40 bis 60 der hier gelagerten Atombomben zwar unter Kontrolle des US-Militärs stehen, aber für den Abwurf durch deutsche Tornado-Kampfflugzeuge vorgesehen sind. Auch im 1990 abgeschlossenen Zwei-plus-Vier-Vertrag zur deutschen Einigung verpflichtet sich Deutschland, keine Atomwaffen anzustreben. Den östlichen Bundesländern bescherte der Vertrag sogar einen für Europa einmaligen völkerrechtlichen Status: „Atomwaffen oder deren Träger“, so Artikel 5, „werden in diesem Teil Deutschlands weder stationiert noch dorthin verlegt.“