Vorsicht, schwarz gelistet!

Franz Müntefering, SPD-Generalsekretär, hat die traditionsreiche „schwarze Liste“ als Waffe gegen böse Turbokapitalisten entdeckt. Unklar ist nur: Wer hat diese Liste? Und wer muss sich fürchten?

VON CLEMENS NIEDENTHAL

Gibt man in der Suchmaske des Internetbuchhändlers Amazon in diesen Tagen den Namen Müntefering ein, erfährt man allerlei Erhellendes über die Lage der Nation, einer ihrer Parteien und eines ihrer Generalsekretäre. Vom „Tatort Ruhrgebiet“ ist dort etwa zu lesen, und vom „Gegenteil von Schokolade“. Saure Drops könnten das sein. Oder eben saure Zeiten. Münteferings „Schwarzbuch der Turbokapitalisten“ hat das Literaturversandhaus indes noch nicht im Programm. Und guckt man erst Mal genauer hin, wird ohnehin deutlich, dass auch für das „Gegenteil von Schokolade“ eine andere verantwortlich zeichnet: Münteferings Tochter Mirjam, erfolgreich in Sachen leichte Literatur.

Franz Müntefering selbst ist eben Generalsekretär, kein Literat. Dabei würde vermutlich nicht viel fehlen zum Bestseller, wenn der Sauerländer seiner viel diskutierten schwarzen Liste ein Schwarzbuch nachreichen würde. Schließlich sind Weltanschauungen mit ausgeprägtem Hell-dunkel-Kontrast einmal mehr gefragt. Die Menschen brauchen, lieben und leben eben das Bipolare. Und Franz Münteferings Arbeitgeber braucht Wähler, die man nach der neuen Mitte nun eben in der alten Linken sucht.

Was, so gesprochen, freilich völlig falsch wäre. Denn wie schon seine ausgeprägte Kapitalismuskritik wähnt sich auch Franz Münteferings Schwarzliste weniger in der Vergangenheit denn in der Gegenwart. Sein Liste folgt dem gegenwärtig populären Genre der Schwarzbücher, wenngleich Letztere zumindest deutlich aufwändiger recherchiert sind. Schon verlautbarte aus SPD-Kreisen, dass man die Namen der notierten Unternehmen und Investmentgruppen vor allem „aus der Zeitung“ habe. Münteferings schwarze Liste taugt da wohl kaum zum enzyklopädischen Nachschlagewerk realkapitalistischer Grausamkeiten. Vollständigkeit wird nicht garantiert.

Zumal, und von hier an wird es etymologisch, die schwarzen Listen zuletzt tatsächlich selbst zu den Machtwerkzeugen realkapitalistischen Handelns gehört haben. Schwarzlisten sind längst die doppelte Buchführung spätmoderner Unternehmenskommunikation. Üblich angeblich etwa in der Versicherungsbranche, um Kundendaten zu speichern und zu archivieren, deren Verbleib in den Firmencomputern datenschutztechnisch zumindest problematisch wäre.

So gesehen dürften sich die transnationalen Kapitalgesellschaften, deren Namen auf Münteferings Schwarzliste vertreten sind, zumindest mit solchen Listen auskennen. Mit dem Unterschied, dass deren Listen nicht jedem zugänglich sind. Schon gar nicht dem Wahlvolk, auf dessen Zorn Franz Müntefering dieser Tage vertraut.

Kulturhistorisch betrachtet ist die schwarze Liste wahrscheinlich so alt wie die Liste an sich. Bereits in bürgerkriegsähnlichen Scharmützeln im alten Rom zirkulierten die Namen der jeweiligen Unterstützer der Gegenseite, was bei Ergreifung mindestens deren Enteignung, wenn nicht sogar den Tod zur Folge hatte. Auch unter den Fabrikanten der Weimarer Zeit waren solche Listen üblich. Auf ihnen waren die Namen von Arbeiterführern und anderen renitenten Klassenkämpfern aufgeführt.

Charakteristisch an diesen Listen war vor allem ihr symbolischer Charakter, eine prophylaktische Drohgebärde: Allein die Ahnung von der Existenz einer solchen Liste wurde für die Arbeiter zum Problem. Agitatorisches Handeln konnte bald nicht nur den Job, sondern eben auch jeden möglichen Job zumindest in der näheren Umgebung kosten. Wer einmal auf der Liste stand, wurde kaum mehr eingestellt.

All diese Listen hatten halboffiziellen Charakter. Schwarze Listen wurden hinter dem Rücken weitergereicht und kaum an die Kirchentür geschlagen.

Das, was Franz Müntefering gerade aus dem Bauarbeiterhelm zaubert, ist demnach weniger eine schwarze Liste als vielmehr ein Evangelium, eine Heilsbotschaft. Ist weder heimlich noch informell und wohl nicht einmal unheimlich informativ. Zumal es nicht einmal eindeutig erscheint, wer sich vor Münteferings öffentlicher Auflistung eigentlich fürchten soll. Renitente Arbeitgebervertreter? Agitatorische Kapitalgesellschaftsvorstände? Wohl kaum.