Eine Pfeife wird Pop

Ausgerechnet in diesem Schreckensjahr für die Fußball-Schiedsrichter ist ein ehemaliger Zahnarzt aus der Pfalz in die Popkultur eingegangen. Sein Name ist: Dr. Markus Merk. Wie kann es dazu kommen?

VON PETER UNFRIED

„counterstrike, markus merkmp3s, courtney love deine eltern, meine eltern, wind und wetter, alle eltern metalbands, slipknot-fans, der bossanova, 68 89, ball und platz und natürlich yoko ono immer auf der suche nach der suche nach den schuldigen einer muss es immer sein einer muss, ganz allein erkennen und benennen.“(Kettcar, „Einer“)

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Zunächst brach eine schöne Welt zusammen, als sich in diesem Jahr herausstellte, dass zumindest ein deutscher Zweitligaschiedsrichter (Robert Hoyzer) käuflich war – und mit kroatischen Wettbetrügern unseren schönen Fußballsport in den Dreck zog. Doch schnell wurde die Problemanalyse abgewürgt oder von Mitgefühl verdrängt, nachdem – zufällig und doch wie von einem höheren Spindoktoren gerufen – der schwedische Fifa-Schiedsrichter Anders Frisk wegen Morddrohungen seinen Rücktritt bekanntgegeben hatte. Der Schiedsrichter ist in diesem Jahr zweifellos in die Top Three des öffentlichen Interesses gerückt, knapp hinter Kapitalismuskritik, aber klar vor Christian Wulff.

Was das genau über die Zeitläufte sagt, muss man noch klären. Auch in der Referee-Diskussion ist man ja noch gar nicht am Kern des Problems, das für den Freiburger Philosophen und Fußballtheoretiker Klaus Theweleit in der „wilhelminischen Machtausstattung des Schiedsrichters“ besteht.

Es sei „lächerlich, was dieser Heini für eine Macht“ habe, sagt Theweleit, während die Spieler „ihn nicht mal Bratwurst nennen dürfen“. Das spiegele die „anachronistischen Feudalrestzustände“ in dem „Kunststaat Fußball“, in dem auch einzelne Funktionäre „Diktatorenrechte“ ausübten. Das ziehe einen bestimmten „Typus“ Mensch an, argwöhnt Theweleit.

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In dieser Situation (Affäre als singuläres Ereignis für überstanden erklärt, strukturelle Bedingungen tabuisiert) taucht nun auch zum ersten Mal der Name eines Schiedsrichters in der zeitgenössischen Popmusik auf. Nicht irgendwo, sondern auf einer der wichtigsten deutschsprachigen Platten des Jahres – dem zweiten Album der Hamburger Band Kettcar („Von Spatzen und Tauben, Dächern und Händen“).

In „Einer“ stellt Sänger und Texter Marcus Wiebusch den deutschen Spitzenschiedsrichter Markus Merk in eine illustre Reihe mit Courtney Love (Witwe von Kurt Cobain), Yoko Ono (Witwe von John Lennon) und Egon Krenz. „Immer auf der Suche nach dem Schuldigen“ heißt es da, „Einer muss es immer sein“. Einer muss „ganz allein“ die volle politische Verantwortung übernehmen. Und wenn er sie übernommen hat? Dann sind die anderen beruhigt, dann kann man weitermachen.

Insofern hat der Song kathartische Wirkung, weil er bis auf Josef Ackermann alle Schuldigen der letzten 50 Jahre nennt, vom Ende der Beatles („Ono“) bis zum Ende der Plattenindustrie („MP3s“), vom Grund meiner Verkorkstheit („meine Eltern“) zum Grund deiner Verkorkstheit („deine Eltern“) – bis zu dem, das neuerdings wieder an allem schuld zu sein hat („1968“) .

Und was hat Merk verbrochen, Herr Wiebusch?

„Saison 2000/2001. Schalke 04 ist für 5 Minuten Meister. In der letzten Minute der Begegnung HSV gegen Bayern pfeift ein Schiedsrichter einen umstrittenen Freistoß, der dazu führt, dass nicht Schalke Meister wird, sondern Bayern“, sagt Marcus Wiebusch. „ Und jetzt rate mal, wie der Schiedsrichter heißt.“

Hm, Markus Merk?

„Eben. Er ist schuld.“

So ist das mit dem Pop. Emotion und Oberfläche. In Theweleits Kosmos müsste man tiefer gehen und fragen: Wie und warum und unter welchen gesellschaftlichen Strukturen entsteht eigentlich ein Schiedsrichter-Subjekt, das nach der Allmacht strebt – auch danach, betrügen zu können. Oder schuld sein zu dürfen?

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Merk (43), Doktor der Zahnmedizin, kommt aus Otterbach, Rheinland-Pfalz, und gilt der Fifa seit einigen Jahren als einer der besten Schiedsrichter der Welt. Seine Praxis hat er aufgegeben, ehemalige Patienten wie den griechischen Nationaltrainer Otto Rehhagel trifft er unter anderen Umständen wieder – etwa beim letzten EM-Finale (2004) in Lissabon.

Ruft man ihn an, ist er entweder grade in Mailand oder wo halt sonst ein wichtiges Spiel ansteht. Sagt man ihm, dass er in einem Popsong verewigt ist, ist das neu für ihn, wirft ihn aber nicht aus der Bahn.

„Markus Merk kennt man in Deutschland“, sagt Markus Merk. Als er erfährt, dass er in einer Reihe mit Krenz und Ono steht und schuld sein soll, wird er etwas wirsch. Da werde „wieder etwas Negatives herangetragen“, murrt er. Vermutlich wirkt die mediale Begleitung der Schiedsrichter-Betrugsaffäre nach. Um es kurz zu machen: Der Kontext der Bekanntheit von Markus Merk ist ein „positiver“.

Mit Pop hat er es nicht so, Kettcar kennt er nicht. Und der Merk-Song? Vielleicht mal anhören. Aber: „Es wird mich nicht groß interessieren, es sei denn ich erhalte Tantiemen oder gewinne einen Grammy.“

Mit beidem ist nicht zu rechnen. Nichtdestotrotz kann Merk sich bei aller inhaltlichen Kritik an seiner Arbeit letztlich sehr geschmeichelt fühlen, weil seine Karriere damit eine neue Stufe erreicht hat.

Trevor Wilson, Rundfunkjournalist, führt mit Michael Schäumer die Internetdatenbank für dt. Fußballplatten fc45.de. „Mir sind keine Platten bekannt, die Schiris namentlich nennen“, sagt Wilson, „auch nicht im Englischen.“ Nicht einmal „so eine markante Figur wie Pierluigi Collina“, bekanntester Schiedsrichter der Welt, habe es zu einem eigenen Song gebracht.

Auch im kollektiven Bewusstsein verankerte deutsche Referees wie Rudolf Kreitlein, Rudi Glöckner oder Eugen Strigel sind nicht in Songs verewigt. Selbst Tofik Bahramov, der WM-Finallinienrichter von 1966, ist unbesungen. Wie es aussieht, ist Merk tatsächlich der erste Schiedsrichter, der in die Poplyrik eingegangen ist. Mehr noch: In dem im Mai auf DVD herauskommenden Film „FußballGott“ spielt er auch mit.

Fehlt eigentlich nur noch „Dr. Markus Merk“. Das könnte jener große Gegenwartsroman sein, in dem sich Aufstieg und Niedergang des rot-grünen „Projekts“ spiegelt. Zum Beispiel.

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Zwei Dinge noch: Merk, darauf weist Klaus Theweleit hin, könne man als „sprechenden Namen“ interpretieren. Es werde Zeit, dass die Leute „merken, dass da was faul ist mit dem Schiedsrichter.“ Und: Falls in deutschen Teenager-Stuben demnächst die ersten Schiedsrichter-Poster hängen, dann ist 1968 endgültig Geschichte.

Und, ach, fast vergessen: „Einer“ ist ein großer Popsong.