Darwin war unterkomplex

In den USA führen religiöse Eiferer eine PR-Schlacht gegen Charles Darwins Evolutionstheorie. Stattdessen wollen sie Gottes schöpferischen Einfluss in den Biologie-Schulbüchern verankern

AUS WASHINGTON MICHAEL STRECK

Sie führen keine Experimente durch und veröffentlichen auch nichts in Wissenschaftsmagazinen. Sie haben bislang keinen einzigen Beleg erbracht, der die Evolutionstheorie widerlegen könnte. Dennoch sind sie überzeugt, dass Charles Darwins Lehre die Entstehung von Leben auf der Erde nicht erklären kann.

Sie nennen sich „Kreationisten“ und Anhänger des „Intelligent Design“. Sie haben finanzkräftige Institute, pseudowissenschaftliche Webseiten, eifrige Eltern in Schulräten und einflussreiche Politikerbeziehungen. Sie haben es geschafft, dass 19 Bundesstaaten in den USA Gesetze verabschiedeten oder dies noch tun wollen, die die Evolutionstheorie in Frage stellen.

Sie verlangen zwar nicht, die Darwin’sche Lehre völlig aus dem Unterricht zu verbannen und dafür fortan die biblische Schöpfungsgeschichte zu predigen. Doch sie fordern, dass die Idee des „Intelligent Design“ in den Lehrplan aufgenommen wird, die den lenkenden Finger Gottes hinter aller Entwicklung postuliert und einen zufälligen natürlichen Ausleseprozess für unmöglich hält.

Ihre Bewegung ist nicht neu. Doch sie hat während der vergangenen Monate eine neue Dynamik bekommen. Lange war es eher ein verborgener Kulturkampf im Hinterland Amerikas. Ermutigt durch das religiöse Sendungsbewusstsein des Präsidenten, der verkündete, dass in Sachen Evolution das letzte Wort noch nicht gesprochen sei, und andere Erfolge in der Bildungspolitik (Unterweisung der Schüler in sexueller Abstinenz), will die religiöse Rechte nun die nächste „liberale Bastion“ stürmen.

Obwohl es sich bei ihnen um eine Minderheit handelt, ist sie doch lautstark und eifernd genug, um mittlerweile über ein schlagkräftiges Netzwerk zu verfügen. So pumpten ihr „Discovery Institute“ aus Seattle, das „Creation Studies Institute“ aus Florida und die Organisation „Answers in Genesis“ insgesamt zehn Millionen Dollar in die PR-Schlacht gegen Darwin.

Die Streiter Gottes bearbeiten zudem Parlamente und Schulgremien. Alabama und Georgia wollen Gesetzentwürfe verabschieden, die Lehrern gestatten, Darwins Evolutionslehre im Unterricht anzuzweifeln. Ohio und New Mexico erlauben dies bereits. In Tennessee sollen Aufkleber auf Schulbüchern darauf hinweisen, dass die Evolution unbewiesen ist. In Kansas wies ein Gericht zwar den Beschluss des Parlaments zurück, die Evolutionslehre aus Abschlussprüfungen zu streichen, doch die konservativen Abgeordneten hoffen, dieses Urteil bald aufheben zu können. „Die meisten Leute hier glauben nun einmal nicht, dass wir von Affen abstammen“, sagt Baptistenprediger Terry Fox aus Kansas.

In der Tat glaubt die Mehrheit der Amerikaner laut Umfragen, dass Gott die Erde schuf, unter Bush-Wählern sind es gar 67 Prozent. Stephen Meyer vom „Discovery Institute“, der gern mit akademischer Freiheit argumentiert, will eine „wissenschaftliche“ Diskussion anstoßen, da „Evolution allein das Leben auf der Erde nicht erklären kann“. Und William A. Dembski, einer der Wortführer der Bewegung, sagt, dass „ein nicht gesteuerter natürlicher Prozess wie der Darwin’sche Mechanismus unfähig ist, eine solche Komplexität zu erzeugen, wie wir sie heute in biologischen Organismen finden“.

Clever machen sie sich den doppelten Wortsinn von „theory“ in der englischen Sprache zu Nutze, der sowohl eine unbewiesene These als auch verifizierte wissenschaftliche Erklärung beschreibt. Wenn auf den Stickern der Schulbücher steht, „Evolution ist eine Theorie, kein Fakt“, suggeriert dies fälschlicherweise mögliche Alternativerklärungen. In der Evolutions- oder Relativitätstheorie spricht man hingegen von Wissenschaftskonzepten, die lange und aufwändig getestet wurden. Die Beweise für die Evolution sind so überwältigend, dass Biologen es völlig absurd finden, diese anzuzweifeln. „Dies ist so, als ob man sagen würde, die Sonne dreht sich um die Erde“, sagt Wissenschaftsjournalist Steve Olsen.

Doch Zweifel ist für die Orthodoxen bereits Erfolg, sie setzen auf langsames Aushöhlen. Ihr Kalkül: Wer glaubt, Gott habe den Menschen geschaffen, dem fällt Abtreibung und Sterbehilfe viel schwerer. Die Hoffnung von Pfarrer Fox: „Wenn man nur genug Zweifel an der Evolutionstheorie säen kann, stirbt der Liberalismus.“

Selbst konservative Kommentatoren fürchten allerdings, das in Amerika eher der Forschergeist stirbt. Schon jetzt haben die Naturwissenschaften massive Nachwuchsprobleme. Die USA rangieren beim Anteil der College-Studenten, die einen Abschluss in Natur- und Ingenieurswissenschaften machen wollen, weltweit nur noch auf Platz 17. Vor 20 Jahren lagen sie noch auf Platz drei.