Die geliehene Ehefrau

Ein wortkarger Film aus Uruguay: Juan Pablo Rebella und Pablo Stoll haben mit „Whisky“ große Kunst im Kleinen gemacht. Sie arbeiten am Detail und deuten mit einer Geste Seelenlandschaften an

Was Maschinengeräusche und Hotelflurezu sagen haben

VON EKKEHARD KNÖRER

Jeden Morgen wartet Marta (Mirella Pascual) vor dem Tor. Jeden Morgen schließt Jacopo (Andrés Pazos) das Tor auf. Sie betreten die kleine Fabrik, die Jacopo gehört, Marta zieht ihre Arbeitskleidung an, Jacopo schaltet, jeden Tag in derselben Reihenfolge, jeden Tag mit denselben Handgriffen, die Maschine ein. Wir sehen Marta, wir sehen Jacopo, sie sprechen kaum miteinander. Wir sehen die Maschine. Es wiederholt sich, Juan Pablo Rebella und Pablo Stoll scheuen sich nicht, es sich, Einstellung für Einstellung, Tag für Tag wiederholen zu lassen. In diesem Leben, das aus Wiederholungen besteht, sieht ein Drama so aus, dass der Rolladen in Jacopos Büro kaputt ist. Das wird ihn mehrere Tage beschäftigen. In der kleinen Fabrik in einer Seitenstraße von Montevideo werden Socken produziert. Das Leben von Jacopo und Marta ist so aufregend, wie man sich das Leben von Menschen vorstellt, die in einer winzigen Sockenfabrik in einer Seitenstraße von Montevideo arbeiten.

Dann ein Ereignis, das das ruhige, in Wiederholungen festgefahrene Leben von Marta und Jacopo durcheinander bringen wird. Jacopos Mutter ist gestorben, sein Bruder Herman (Jorge Bolani) kündigt sich an. Er lebt im Ausland, zur Beerdigung hat er es nicht geschafft. Zur Zeremonie der Grabsteinsetzung kommt er. Die beiden sind deutschstämmige Juden mit Nachnamen Köller. Mit großer Selbstverständlichkeit erschließt sich das, ohne dass es ausdrücklich zum Thema werden müsste. Jacopo hat seinem Bruder etwas vorgelogen von einer Frau, die er geheiratet hat. Er bittet Marta, diese Frau zu spielen, solange der Bruder da ist.

Für den Zuschauer erschließt sich das Szenario erst nach und nach, nur ganz sachte werden die beiden aus den inzwischen vertrauten Einstellungen entfernt. Marta verwandelt die Wohnung eines Junggesellen, der mit seiner Mutter zusammengelebt hat, in die Wohnung eines Ehepaars. Sie gehen zum Fotografen, der schießt ein Hochzeitsfoto, sie sagen „Whisky“, das sagt man in Uruguay für „Cheese“. Auf diese Weise kommt der Film zu seinem Titel. Der Bruder trifft ein, am Flughafen. Auch er ist ein Sockenfabrikant, aber seine Geschäfte laufen besser. Er hat Tipps für seinen Bruder, sie schenken sich zum Wiedersehen Socken.

In „Whisky“ geschieht alles wie nebenbei. Die Bilder bleiben so wortkarg wie Jacopo, der der ruhende Pol in ruhenden Szenen aus ruhigen Leben ist. In den Zwischenräumen, zwischen den Zeilen, entsteht dennoch zusehends eine Spannung, die sich der lakonischen Genauigkeit verdankt, mit der hier erzählt wird. Alle Einstellungen sind präzise, und wenn Jacopo und Marta im Aufzug nebeneinander stehen und die Kadrierung dazu führt, dass sein Kopf an der Stirn und ihrer am Kinn abgeschnitten wird, dann ist das sowohl ein visueller Scherz über Größenunterschiede als auch eine Wahrheit über die Enge ihres Lebens.

Mit der Ankunft des Bruders wird diese Enge aufgebrochen, aber auch das geschieht ganz unspektakulär. Sie machen einen Ausflug ans Meer, zu dritt, viel ist auch da nicht los, es ist Winter. Herman fühlt sich von Marta angezogen und Marta gerät in Gefahr, der Rolle, die sie spielt, und dem Mann, dem sie zur Treue nicht verpflichtet ist, untreu zu werden. Jacopo, dem sonst kaum die Spur einer Leidenschaft anzumerken ist, entwickelt Ehrgeiz im Spiel und in der Konkurrenz mit seinem Bruder. Die Ereignisse überschlagen sich, aber sie tun es in Zeitlupe, ohne viele Worte, nichts und niemand gerät außer sich, auch die Bilder nicht.

„Whisky“ ist ein Film, der am Detail arbeitet und mit einer Geste Seelenlandschaften andeutet. Jacopo, das Zentrum dieser Geschichte, bleibt rätselhaft bis zuletzt, ein stilles Monument der Unerlösbarkeit. Einer, der Glück schenken, aber nicht mehr finden kann. „Whisky“ ist in der Zeitform fortgesetzter Gegenwärtigkeit erzählt. Er wird nicht hinterrücks psychologisch, er verlässt sich auf das, was Maschinengeräusche und Hotelflure zu sagen und zu verschweigen haben. In Gesten und Blicken verhalten die Figuren sich zueinander. Es gibt nicht mehr und nicht weniger zu sehen, als das, was es zu sehen gibt. „Whisky“ lehrt, wie die kluge Bescheidenheit der Mittel zur großen Kunst im Kleinen führt.

„Whisky“, Regie: Juan Pablo Rebella und Pablo Stoll. Mit Andrés Pazos, Mirella Pascual u. a., Uruguay/Argentinien/Deutschland 2004, 94 Min.