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Konsumverzicht als Kulturkritik: Vom stilvollen Verarmen und anderen erfolgreichen Rezessionsclownerien

Einer jüngeren Emnid-Umfrage zufolge ist Pessimismus in keiner Industrienation der Welt so verbreitet wie in Deutschland. Nur jeder vierte Befragte blickte zuversichtlich auf das, was kommt. Schade. Denn wer zuversichtlich ist, gibt gerne aus. Ob er Geld hat oder nicht.

Wenn viele Leute zuversichtlich sind und Geld ausgeben, tut das auf längere Sicht vielen gut, schließlich hängt die Binnenkonjunktur wesentlich vom Privatkonsum ab. Unmengen von Geld lagern gegenwärtig auf deutschen Sparbüchern. Gebt das Geld her, möchte man rufen. Oder, etwas biblischer: Gebt, dann wird euch gegeben. Warum konsumieren in Deutschland selbst diejenigen nicht, die es eigentlich können?

Hannes Siegrist, Kulturhistoriker an der Universität Leipzig und Experte für die Geschichte des Konsums, glaubt im Gespräch dazu, dass es die Erinnerungen an die Entbehrungen der Nachkriegszeit sind, die vielen Deutschen noch immer in den Knochen stecken, selbst in den nachfolgenden Generationen. „Man traut dem Frieden nicht.“ Sparen bedeute nicht nur, nach dem Muster der aufgeschobenen Belohnung zu handeln, sondern auch, auf den Rückgang an Erwartungssicherheit zu reagieren. Konsumverweigerung sei aber zugleich Symptom einer allgemeinen europäischen Modernismuskritik, die – häufig in Abgrenzung zur amerikanischen Konsumgesellschaft und flankiert von religiösen und politischen Ideologien – eine wahre Bedürfnisbefriedigung erst im Durchbrechen des vermeintlichen Blendwerks der Konsumindustrie sieht. Mehr zu haben, als man zum Leben braucht, hält womöglich vom Wesentlichen ab.

Nachgerade en vogue ist es Hannes Siegrist zufolge einmal mehr geworden, nicht zu konsumieren, und der Teufelskreis aus Pessimismus, vorbeugendem Sich-Einstellen auf immer noch schlechtere Zeiten und moralinsaurer Weltentsagung, in den man sich damit begibt, passt praktischerweise exakt zur Lage der Nation. Wenn sowieso nichts mehr geht, erinnert man sich nur zu gern der unbezahlbaren inneren Werte.

Rezessionsclownerien wie der Verarmungs-Ratgeber des Grafen Schönburg („Die Kunst des stilvollen Verarmens“, Rowohlt.Berlin-Verlag)), der es mittlerweile auf den ersten Platz der Bestsellerlisten bringt, stoßen dabei auf geniale Weise in jene Geisteslücke, die aus der Verbindung von schlechter Wirtschaftslage und Weltanschauung entstanden ist. Zu Hause ist es doch immer noch am schönsten, Spazierengehen viel billiger als das Fitnessstudio, Sandwichautomaten, Sonnenschirmhüllen und Körperfettwaagen braucht sowieso kein Mensch und Window-Shoppen ist als Gefühl noch viel echter, ehrlich, als der Kaufvorgang selbst.

Das stimmt natürlich. Von einem Grafen allerdings hört man es sich lieber an als von einem bürgerlichen Pleitier aus Ostfriesland oder dem Erzgebirge. „Interessant“, sagt Siegrist, „wie hier Abstieg inszeniert und mit gewissen Negativ-Fantasien gespielt wird.“ Soziale und kulturelle Unterschiede zu schaffen bleibt eine der großen Leistungen des Konsumierens; gleichmütiger Konsumverzicht kann nur dort greifen, wo längst auf andere Weise Hierarchien entstanden sind, meist über symbolische Güter wie Ehre oder Tradition. Schön also, wenn die Konsumverweigerung Hand in Hand geht mit einer positiven Grundeinstellung und dem heiterem Wissen um das offenbar menschliche Bedürfnis, Unterschiede zu schaffen. Schlecht hingegen, wenn sie zur Stiefschwester von Passivität und bitterer Ergebung wird.

Dass private Konsumenten durchs schiere Shoppen Einfluss auf die Wirtschaftslage ausüben können, bleibt ein reizvoller Gedanke. Auch wenn Siegrist sich skeptisch zeigt. Kaufen, weil es gemeinschaftsfördernd ist? „Das wären die alten Appelle: Der Deutsche kauft nur … oder: Der Sozialist lässt sich nicht von Westprodukten verführen und zu imperialistischen Ideologien bekehren. Wir leben davon, dass in unserer Gesellschaft konsumiert wird, aber auf verschiedene Weise. Individualisierung entsteht auch durch unterschiedliches Konsumieren. Der Mensch konstituiert sich doch auch über Gegenstände.“

Lieb gewordene Äußerlichkeiten sind großartig. Warum also nicht die Kausalfügung „Zuversicht schafft Ausgabebereitschaft“ zur Abwechslung einmal umdrehen und dabei gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen? Schließlich lässt sich nicht nur in Wegwerfware und äußerlichen Prunk investieren, sondern auch in Kunst, in Bildung oder die eigene Gemütsverfassung. Oder in alle drei zugleich. Jenen, die klagend ihr Geld beisammenhalten, Konsumverzicht predigen und weiterhin heimlich vom Wirtschaftsaufschwung träumen, sei nur einmal geraten, sich an die Berliner Künstlerin Barbara Wrede zu wenden. Sie zeichnet mit ihrem Projekt „Vision By Call“ Zukunfts- und Zuversichtsbilder auf Bestellung, so, wie es die Künstler vergangener Jahrhunderte oft genug taten: Sage mir, was du siehst und für dich oder für andere wünschst, und ich schaffe Kunst zu diesem Thema.

Wredes Ansatz ist eine eigenwillige künstlerische Überhöhung jenes Bildes vom neuzeitlich aufgeklärten Verbraucher, den die Konsumforschung prosumer nennt, einen, der genau weiß, wie er sein Produkt haben möchte, und der deswegen immer auch sein eigener Produzent ist. Und prosumer mögen langlebige Waren mit Optimismus-Appeal. Bloß Dinge, Sachen, Güter zwar – aber solche, deren Wirkung bis weit in eine schöne Zukunft hinein zu ahnen ist.

CHRISTIANE TEWINKEL