Geschichten aus 1001 Schlacht

Die Toleranz reicht bis zum nächsten Schwerthieb: Ridley Scott hat mit „Königreich der Himmel“ seine Version der Kreuzzüge gedreht. Neue Einfälle hat Scott freilich nur in Maßen. Und wo die Gewalt sich nicht bis zum Delirium steigert, stumpft sie ab

Die positiv besetzten Figuren pflegen eine Rhetorik der Toleranz und des Dialogs

von CRISTINA NORD

Ein Kreuz steht am Wegesrand, der Himmel ist verhangen, Schneeflocken schweben mehr, als dass es schneit. Drei in Kutten gehüllte Gestalten sind hier zugange; unter weißem Tuch liegt eine vierte – eine Leiche. Als sich der Stoff im Wind bewegt, sieht man ihr Gesicht. „Es war Selbstmord“, sagt der Pfaffe, „schlagt ihr den Kopf ab.“ Schon hebt einer der Totengräber sein Schwert. Bevor es niedergehen wird, fährt der Schnitt dazwischen. Auch das folgende Bild zeigt ein Schwert, eines, das geschmiedet wird – ein glühender Metallstab auf dem Amboss. Die Montage lässt die Einzelbilder so hart aneinander prallen, dass sie das Abschlagen des Kopfes zwar verbirgt, doch den Schock darüber in ihrer Wucht verdoppelt.

Mit diesen Bildern beginnt Ridley Scotts neuer Film „Königreich der Himmel“. Selbstverständlich haben Scott und die Cutterin Dody Dorn das Montageprinzip, das das Resultat eines Schwerthiebs zugleich versteckt und betont, nicht erfunden; in Schlachtsequenzen gehört es zu den visuellen Standards. „Königreich der Himmel“ ist ein Spektakel aus der Zeit der Kreuzzüge. Der Film spielt am Ende des 12. Jahrhunderts, als Jerusalem zwar in christlicher Hand, aber von muslimischen Truppen umstellt ist. Im Mittelpunkt steht der Schmied Balian (Orlando Bloom). Er wird Ritter, zieht gen Jerusalem, will den Frieden und findet immer nur die Schlacht. Antiislamisch sei der Film, klagte Laila al-Qatami, eine Sprecherin des American-Arab Anti-Discrimination Committee, bevor der Film überhaupt gezeigt werden sollte. Historiker in Großbritannien wiederum sahen eine allzu Islam-freundliche Haltung am Werk: „Das ist Ussama Bin Ladens Version der Geschichte“, befand Jonathan Riley-Smith, ein Professor für Kirchengeschichte in Cambridge. Die widerstreitenden Ansichten belegen vor allem eines: wie schwierig es ist, einem Film – und sei es einem noch so durchschaubaren Blockbuster – mit Kriterien beizukommen, die dem Kino äußerlich sind.

Dennoch wirft es Fragen auf, wenn Scott sich der Kreuzzüge annimmt. Mündet das nicht zwangsläufig in Propaganda fürs christliche Abendland? Rechtfertigt es nicht indirekt die Intervention im Irak? Behauptet es nicht die Vormachtstellung des Westens über die arabische Welt? Scott beugt solchem Verdacht vor, indem er den positiv besetzten Figuren des Filmes – Balian zum Beispiel oder der Prinzessin Sibylla (Eva Green) – eine versöhnliche, auf Toleranz und Verständnis zielende Rhetorik in den Mund legt. Gegen die Hardliner in den eigenen Reihen setzen Balian und seine Getreuen auf Dialog und Diplomatie. Das führt zu der für Scott glücklichen Situation, dass die Anwesenheit der orthodoxen Eroberer die der moderaten Eroberer erfordert. Das Skandalon der Eroberung gerät darüber in Vergessenheit.

Zugleich führt die Rhetorik der Toleranz zu der schizophrenen Situation, dass Scotts Film zwar die Muslime verstehen, zugleich aber möglichst oft die Schlacht in Szene setzen möchte. Arm an Schauwert ist der Dialog. Die Masse der Soldaten, die Pferde, Schwerter, Lanzen, Dolche und Pfeile, die Armbrüste und Hellebarden hingegen haben dem Auge einiges zu bieten.

Dabei geht Scott mitunter so ökonomisch vor, als drehte er einen B-Film. So wie man dort nicht lange zaudert, so drängt auch er komplizierte Abläufe in wenigen Bildern zusammen. Ein Schiff geht unter? In „Königreich der Himmel“ ist das eine Frage von wenigen Einstellungen: eine Panoramatotale auf die hohen Wogen und das schon reichlich schief liegende Schiff, Schnitt, ein paar Aufnahmen aus dem Inneren des Schiffs, von den verängstigten Passagieren und den nicht minder verängstigten Tieren, Schnitt, wieder die Panoramatotale, das Schiff neigt sich und kippt, Schnitt, ein computergestütztes Unterwasserbild zeigt, wie das Schiff in die Tiefe taumelt. Das nächste Bild blendet mit gleißendem Licht. Am Strand liegen die Wrackteile, und kaum ist der Held den Trümmern entstiegen, zückt er schon wieder das Schwert.

Weniger haushälterisch ist Scott, wo es um Schlachten und Zweikämpfe geht. Dabei greift er meist auf bewährte Inszenierungsmuster zurück: Aufsichten auf Massen wechseln mit halbnahen und nahen Einstellungen aus dem Kampfgewimmel. Slow Motion macht die Bewegungen der Waffen effektvoll sichtbar, und in der Regel wird das Resultat dieser Bewegung – die Wunde, die Verstümmelung, der Tod – von der Wucht der Montage zugleich geschluckt und ausgestellt. Dann wieder werden die Versehrungen für Sekundenbruchteile sichtbar: eine von einer Speerspitze durchbohrte Kehle oder ein geöffneter Bauch, aus dem Eingeweide quellen, sind gerade so lange im Bild, dass der Schock der ersten Wahrnehmung nicht der Gewöhnung weicht. Neue Einfälle hat Scott nur in Maßen. Am Ende, in der letzten großen Schlacht, wollen die Muslime unter Führung Saladins (Ghassan Massoud) die Stadtmauern Jerusalems mit Hilfe von Landungstürmen überwinden; wenn diese Landungstürme in einer Kettenreaktion zu Fall gehen, spricht dies für Balians Technik und gewährt dem Zuschauer einige Augenblicke der Distanzierung. Dann ist die Schlacht vor allem Ornament.

Nolens volens trägt sich Scott in eine universale Kriegsfilmikonografie ein. Die Kämpfer, die von den Türmen aus versuchen, in die Stadt einzudringen, erinnern an die alliierten Soldaten, die Steven Spielberg in „Saving Private Ryan“ an den Stränden der Normandie anlanden lässt. Wenn Saladins Reiter hinter den Sanddünen auftauchen, dann ist es wie in den Western, in denen die Indianer plötzlich auf dem Kamm eines Hügels stehen. Dass Balian am Ende noch die Pubertierenden rekrutiert, kennt man aus „Der Untergang“. Und sobald die Truppen aufmarschieren, ziehen vor dem inneren Auge die Heere aus „Herr der Ringe“ vorbei. Weil Scott die Schlachtsequenzen nicht ins Irreale weitet wie Oliver Stone in „Alexander“ oder Takashi Miike in „Izo“, wird es bald ermüdend. Wo die Gewalt sich nicht bis zum Delirium steigert, stumpft sie ab.

Daran ändert nichts, dass Prinzessin Sibylla ihrem zukünftigen Geliebten Balian erklärt, was Muslime im Gebet erleben: Sie werden ein Körper, sie bilden die Umma. Sybilla kann von einer arabische Kollektivität nur deswegen sprechen, weil sie das Bewusstsein eines Menschen aus dem 20. Jahrhundert hat. Denn der Kontrast von europäischer Individualität und arabischer Kollektivität, den der Film an dieser Stelle behauptet, lässt sich für das 12. Jahrhundert kaum veranschlagen. Individualität ist ein Konzept, das vor über 800 Jahren auch in Europa nicht existierte. Zu tumb freilich ist „Königreich der Himmel“, ein solches Dilemma zu bemerken.

„Königreich der Himmel“, Regie: Ridley Scott. Mit Orlando Bloom, Eva Green u. a., USA 2004, 145 Min.