DIE MILITÄRJUSTIZ WIRFT EIN SCHLECHTES LICHT AUF DEN RECHTSSTAAT USA
: Kein Respekt vor der Menschenwürde

Es ist kein rühmliches Bild, das die US-Militärjustiz bei zwei Affären abgibt, die dem Bild der US-Armee im Irak heftigen Schaden zugefügt haben. Der US-Soldat, der im November vor den Augen eines Kameramannes in Falludscha einen verwundeten irakischen Soldaten tötete, wird nicht belangt. Er habe in Notwehr gehandelt, befand eine militärische Untersuchungskommission, ohne Details bekannt zu geben. Und der Prozess gegen die Gefreite Lynndie England, die im irakischen Abu-Ghraib-Gefängnis vor nackten irakischen Gefangenen posierte, ist vorerst geplatzt, weil ihr Schuldbekenntnis nicht mit den Aussagen ihres Vorgesetzten und Ex-Lovers Charles Graner zusammenpasst. Den von einigen Armeeberichten und zahlreichen Menschenrechtsorganisationen vorgebrachten Vorwürfen, die Verantwortung für Abu Ghraib liege ohnehin nicht nur bei den Ausführenden, wurde vor Gericht nie nachgegangen. Ein gutes Licht auf den Rechtsstaat USA wirft das nicht.

Nun bemisst sich die Qualität rechtsstaatlicher Aufarbeitung solcher Fälle nicht in der Höhe des Strafmaßes, wenngleich der weltweite öffentliche Druck das mitunter zu suggerieren scheint. Auch ein Freispruch kann völlig berechtigt sein – wenn denn die Untersuchung ein echtes Interesse gezeigt hat, Hergang und Hintergrund der Taten vollständig aufzuklären. Eben das aber ist in beiden Fällen nicht geschehen – und in etlichen mehr, bei denen US-Soldaten im Irak vorgeworfen wird, verwundete Feinde bewusst getötet zu haben.

Die beiden Fälle unterscheiden sich dadurch, dass es sich in Falludscha um den Einsatz einer kämpfenden Truppe gehandelt hat, die auch von Gerüchten wusste, dass irakische Aufständische mitunter Tote und Verwundete mit Sprengfallen ausstatten. Den Soldaten dort kann mildernd eine Überreaktion aus Angst attestiert werden. Anders in Abu Ghraib, wo die Wächter erkennbar mit Vorsatz agierten. Beiden Fällen gemein ist jedoch, dass sie von einem Bild des mutmaßlichen irakischen Feindes zeugen, das jeden Respekt vor Menschenleben und -würde vermissen lässt. Diese Haltung der Besatzungssoldaten wird von den oberen Rängen der Befehlskette geschürt und gedeckt. Das ist der eigentliche Skandal. BERND PICKERT