„Das Gedenken ist die Sache einiger Aktivisten“

Die Aussage des Holocaust-Mahnmals ist viel zu beliebig. Statt die Menschen an diesen konstruierten Ort zu schicken, sollte der Opfer lieber an den authentischen Orten gedacht werden: in den ehemaligen Lagern

taz: Herr Schoeps, hat man mit der Errichtung des Berliner Holocaust-Mahnmals eine Chance verpasst, jüdisches und nichtjüdisches Schoah-Gedenken zusammenzuführen?

Julius H. Schoeps: Das eine hat mit dem anderen nur bedingt etwas zu tun. Die Juden gedenken ihrer Toten, während die Nichtjuden der Opfer gedenken. Das sind zwei unterschiedliche Ebenen. Warum wird ein gemeinsames Gedenken notwendig? Sollen die Juden die Hand zur Versöhnung ausstrecken? Die Toten kann man nicht zum Leben erwecken. Am Deutschland von heute stört mich, dass man der toten Juden mit Inbrunst gedenkt, sich aber nicht um die lebenden Juden kümmert. Denken Sie nur an die Integrationsprobleme der russisch-jüdischen Zuwanderer.

Aber ist das Schoah-Gedenken nicht ein gesellschaftliches Bedürfnis?

Mag sein. Mir scheint es ein produziertes Bedürfnis. Ein Großteil der Bevölkerung ist daran kaum interessiert. Das Gedenken ist die Sache einiger Aktivisten und Intellektueller. Ich habe häufig den Eindruck, als wolle man mit einem Phantomschmerz fertig werden.

Phantomschmerz? Was meinen Sie damit genau?

Es ist das Leiden an einer Vergangenheit, von der man weiß, dass man sie nicht mehr ändern kann. Mich hat von Anfang an gestört, dass mit dem Mahn-/Denkmal der Versuch unternommen wird, etwas Verlorengegangenes wiederherzustellen. Aber Deutschland wird mit dem, was zwischen 1933 und 1945 geschehen ist, in absehbarer Zeit nicht fertig. Das bemerkt man auch daran, dass alle zwei, drei Jahre in Deutschland eine Debatte ausbricht, die sich an der Frage entzündet, auf welche Weise mit der Vergangenheit umgegangen werden soll.

Kann das Mahnmal dabei helfen, mit der Vergangenheit fertig zu werden?

Es wird kaum dazu kommen, dass sich am Mahnmal alle in die Arme fallen und das kollektive Wohlbefinden ausbricht. Besser wäre es, wenn wir darüber nachdenken würden, was getan werden kann, um junge Menschen davor zu schützen, dieselben Fehler zu machen wie ihre Großeltern. Mir ist bis heute nicht ganz klar, was dieses Mahnmal bezweckt. Ist es der definitive Schlussstrich unter die Vergangenheit? Ist das der Ort, wohin Staatsbesucher künftig geführt werden? Ich hätte mir ein Mahnmal für alle Opfer des Nationalsozialismus gewünscht.

Vielleicht findet man Kommunisten, Schwule, Sinti und Roma einfach nicht so interessant.

Vermutlich hängt das damit zusammen, dass die Menschen unsicher sind, wie sie mit der NS-Geschichte umgehen sollen. Das Mahnmal wird sicher eine Touristenattraktion. Ist das aber gewollt? Als Pädagoge fände ich es sinnvoller, junge Menschen an die authentischen Orte zu führen, dorthin also, wo die Verbrechen begangen wurden. Das wäre relativ einfach zu bewerkstelligen. Rund um Berlin existieren die Lager wie Sachsenhausen, Ravensbrück und andere. Zum Teil befinden sie sich allerdings in einem schrecklichen Zustand.

Ist das Mahnmal nicht schon ein zivilisatorischer Fortschritt?

Ich bin kein Freund von Denkmälern dieser Art. Ich bin der Ansicht, wir sollten uns bemühen, nach neuen ästhetischen und inhaltlichen Formen Ausschau zu halten, um uns wichtige Botschaften in die Zukunft zu transportieren. Mahnmale, in Stein gehauen oder in Eisen gegossen, haben ihre Zeit. Denken Sie an das Völkerschlachtdenkmal bei Leipzig und andere Denkmäler. Sie stehen in der Landschaft, und die Menschen wissen gar nicht mehr, an was sie erinnern. Ich fürchte, so wird es auch mit dem Holocaust-Mahnmal kommen.

Haben Sie es schon besucht?

Ja. Allerdings, und ich hatte das Gefühl, auf einer Art Friedhof zu sein. Das Friedhofsmotiv hat sicher eine Rolle im Denken Peter Eisenmans gespielt. Mich hat die Ortsbesichtigung nicht sonderlich berührt. Besonders gestört hat mich die Beliebigkeit der Aussagen. Wessen gedenkt man an diesem Ort? Der Juden? Oder vielleicht der gefallenen Wehrmachtssoldaten? So ganz klar ist das alles nicht.

Vielleicht ist es ja heutzutage nicht mehr möglich, Menschen auf ein einheitliches Gedenken zu verpflichten?

Die Menschen bedürfen des symbolischen Gedenkens und vielleicht auch der Erinnerungsorte. Aber man muss präziser darüber nachdenken, bevor man ein Projekt wie dieses Mahnmal in Angriff nimmt. Das ist nicht geschehen. Schon in der Phase der Ausschreibung wusste man nicht, was man eigentlich wollte. Bedauerlich finde ich es, dass man sich für einen Entwurf entschieden hat, der für alles und nichts stehen kann. Es gab zweifellos bessere Vorschläge. In guter Erinnerung ist mir das Projekt Bushaltestelle, das so gedacht war, dass Menschen an einen Ort wie Sachsenhausen gefahren werden. Das wäre die Entscheidung für den authentischen Ort gewesen. Aber das hat man nicht gewollt. Das Mahnmal ist ein konstruierter Ort, ein Nichtort.

INTERVIEW: JAN-HENDRIK WULF