Umzugswelle durch Hartz?

Viele Langzeitarbeitslose zahlen nach den Maßstäben der Hartz-Reformen zu hohe Mieten. Der 1. Juli wird für die ersten ALG II-BezieherInnen deshalb zum traurigen Datum werden: Ihnen droht der Umzug, auch wenn in den Kommunen verschieden mit Obergrenzen und Schonfristen umgegangen wird

Von Kai Schöneberg

“ALG II Zwangsumzug! Neue Vermieter gesucht“, schreibt ein „bedarfsgemeinschaftliches Ehepaar“ aus Ganderkesee in einer Wohnungsanzeige. Sie bräuchten „dringend“ eine neue Bleibe in Oldenburg oder Umgebung, „weil die derzeitige Miete lt. amtlicher Mitteilung angeblich zu hoch ist“. Noch gilt eine Übergangsfrist, doch der 1. Juli kann für viele Bezieher des Arbeitslosengeldes II (ALG II) zum traurigen Datum werden. „Unverzüglich“ solle er sich um eine Senkung seiner „Unterkunftskosten auf das angemessene Niveau“ bemühen, hatte die Agentur für Arbeit an einen Göttinger geschrieben, weil seine Miete 18,34 Euro über dem „angemessenen“ Satz liege – in Göttingen sind das 245 Euro. Die meisten der für die Langzeitarbeitslosen zuständigen Arbeitsgemeinsschaften und Optionskommunen haben ihren Kunden eine Frist von sechs Monaten gegeben - doch die läuft Ende Juni ab. „Dann kommt der dicke Hammer“, sagt Bernd Stöver vom Mieterverband Niedersachsen-Bremen.

In den Arbeitslosen-Beratungsstellen ist die Verunsicherung zu spüren: Tausendfach bekamen Langzeitarbeitslose mit ihrem ALG II-Bescheid eine Aufforderung geschickt, „die Unterkunftskosten auf den für Sie angemessenen Betrag durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise zu senken.“ Wer dem nicht nachkommt, muss entweder umziehen oder den zu hohen Betrag selbst von seinem nicht gerade üppigen Arbeitslosengeld berappen - der Satz liegt derzeit in Westdeutschland bei 345 Euro, dazu kommt das Wohngeld. Die Frage ist, wieviel.

Genaue Zahlen über bedrohte Mieter gibt die bundesweit einheitlich benutzte Software nicht her, der Deutsche Mieterbund rechnet bundesweit jedoch mit 100.000 Zwangsumzügen durch Hartz IV - das wären allein in Niedersachsen etwa 10.000. „Einige Leute wurden im Beratungsgespräch einfach aufgefordert, aufs Land zu ziehen“, ärgert sich Sebastian Wertmüller vom Deutschen Gewerkschaftsbund. Um Härten zu vermeiden, hätte man zwar vielerorts die Grenzen für Arbeitslose, bei denen mit einer baldigen Vermittlung zu rechnen ist, flexibel ausgelegt. Allerdings: Selbst wenn man auf die Höchstgrenze noch eine Toleranzquote von zehn Prozent drauflege, sei das oft „viel zu niedrig“, sagt Wertmüller.

Allein in Göttingen sollen nach Auskunft der dortigen Grünen bereits 770 Arbeitslose aufgefordert worden sein, ihre Miete zu senken. Die ersten Betroffenen seien bereits umgezogen. „Es ist ein Skandal, dass die Stadt den Leistungsbeziehern gravierende existentielle Sorgen beschert“, sagt der grüne Rats-Fraktionschef Rolf Becker.

„In Hamburg haben die Kosten für die Unterkunft erst im zweiten Halbjahr Priorität“, kündigt Uwe Ihnen von der für die Hartz IV-Umsetzung zuständigen Arbeitsgemeinschaft an. Bislang habe man nur „in krassen Fällen“ zur Senkung der Miete aufgefordert. Tatsächlich wurden bislang für die gut 100.000 ALG II-Empfänger in Hamburg laut DGB im Schnitt Kosten für Miete und Heizung in Höhe von 328 Euro im Monat übernommen.

Eine verlängerte Schonfrist gilt auch in Bremen. Im ersten Halbjahr 2005 werde niemand aufgefordert, „wegen unangemessener Mietkosten die Wohnung aufzugeben oder nach einer preisgünstigeren Alternative zu suchen“, hatte Sozialsenatorin Karin Röpke (SPD) versichert. Einerseits wollen die Sozialdemokraten mit Umzugsdrohungen nicht noch mehr Verunsicherung im Volk der Hartzler schüren, andererseits fehlte auch lange eine verlässliche Datenbasis, wie teuer die Übernahme der Mieten überhaupt ist.

Ob Bremen oder Hamburg: Wenn die Wohnungskosten in der zweiten Jahreshälfte unter die Lupe genommen werden, dürften viele die Umzugskisten aus dem Keller holen müssen. Michael Kopff vom Hamburger Mieterverein schwanen Umzugswellen. „Wenn in großen Mengen Leute auf den Markt gedrängt werden, sind gefährliche Engpässe zu erwarten“, sagt Kopff. Und macht eine einfache Rechnung auf: Derzeit darf die Wohnung eines ALG II-Beziehers in Hamburg höchstens 45 Quadratmeter groß und 318 Euro teuer sein – ohne Heizkosten. Das entspricht einer Nettokaltmiete von etwa sechs Euro pro Quadratmeter. Es gibt zwar in Hamburg etwa 350.000 Wohnungen zum Hartz IV-Preis – etwas mehr als die Hälfte des derzeit verfügbaren Mietwohnraums. Das Problem: „Bei Neuvermietungen muss man derzeit in vielen Stadtlagen locker drei Euro dazulegen“, kalkuliert Kopff. Da bliebe vielen ALG II-Beziehern nur der Weg an den Stadtrand oder der Umzug in Sozialwohnungen. Aber auch davon, so Kopff, „gibt es immer weniger“.