bücher aus den charts
: Sehr autobiografisch

Man hätte es kaum für möglich gehalten: Paulo Coelhos neues Machwerk „Der Zahir“ ist ein zumindest merkwürdiger, ein merkwürdig ambivalenter Roman. Nicht weil die Geschichte im Zentrum des Romans sich nun groß von dem spirituellen Schmus unterscheiden würde, den Coelho sonst so verzapft. Oder weil er zum fesselnden Geschichtenerzähler geworden wäre, der sich plötzlich nicht mehr durch haufenweise hölzerne, von Gleichnissen und Wort-zum-Sonntag-Sentenzen nur so strotzende Dialoge stolpert.

Merkwürdig ist „Der Zahir“ deshalb, weil Coelho in diese Geschichte eine Art Autobiografie eingehängt hat und Auskunft über sich und sein Leben erteilt, was sich mitunter hart an der Grenze zur Selbstgefälligkeit bewegt. Und weil er anscheinend versucht, Verrissen wie etwa diesen hier zuvorzukommen, in dem er seinen Ich-Erzähler, einem höchst erfolgreichen Schriftsteller, nicht selten dessen problematisches Verhältnis zur Literaturkritik reflektieren lässt. Mal nach der Devise: „Mein Publikum ist alles, die Kritik nichts“, dann aber auch in Form einer strengen, um nicht zu sagen: über das Ziel hinausschießenden Abrechnung, die die Kritik an seinen Büchern etwa mit Satzbeispielen zu demaskieren versucht und gegen Ende in dem Satz gipfelt: „Wenn es um Politik geht, sind sie [die Kritiker] Demokraten, aber wenn es um Kultur geht, sind sie Faschisten. Sie meinen die Leute seien fähig, eine Regierung zu wählen, aber keine Filme, Bücher oder Musik.“

Da scheint dem Bestsellerautor Coelho die fehlende Zuneigung der Kritik härter anzugehen als gedacht, und da hat der Ich-Erzähler aus „Der Zahir“ nicht von ungefähr viel von ihm selbst: Er war früher Hippie, dann Komponist und wurde schließlich Erfolgsschriftsteller, Autor von Büchern, in denen eine Pilgerreise nach Santiago de Compostela beschrieben oder die Geschichte eines Schafhirten erzählt wird, „der auf der Suche geht nach seinem Traum, einem am Fuß der Pyramiden in Ägypten verborgenen Schatz“. Ja, ja, „Der Alchimist“ also.

Im Moment aber, so beginnt „Der Zahir“, hat der Erzähler ein ernstes Problem: Seine Frau Esther hat ihn verlassen und ist spurlos verschwunden. Gelegenheit für ihn, seinen Werdegang zu erzählen, über die Liebe nachzudenken, über Glück, Unglück und dergleichen mehr, noch ein Buch zu schreiben, „Zerreißen hat seine Zeit, Zunähen hat seine Zeit“ (!), das wie üblich ein Bestseller, aber verrissen wird: „Die Literaturbeilagen, die noch nie freundlich zu mir waren, attackierten mich doppelt hart“, und zu erkennen, dass Esther sein Zahir ist, „etwas, was man, hat man es einmal berührt oder gesehen, nie wieder vergißt und was unser ganzes Denken bis zum Wahnsinn besetzt“.

Also macht er sich auf die Suche nach Esther, nach Liebe, Glück und Erkenntnis, und das Dumme ist, dass diese Suche für den Kritiker, der Coelho so gern mal loben würde, wiederum nur eine Erkenntnis bereit hält: Das ist alles ganz, ganz schrecklich! Hier ist wieder alles drin, was Coelhos Romane über den miesen Stil hinaus so quälend macht: Liebes- und andere Energieströme, bedeutungsschwere Luftzüge und Lichter, Gott oder Stimmen, die die Liebe reden lassen. Balsam für alle, die der ach so materiell ausgerichteten Gesellschaft überdrüssig sind. Dazu kommen ein zivilisationskritischer junger Kasache, ein alter zivilisationskritischer kasachischer Nomade, einige verkitsche mongolische Mythen und Ähnliches.

Nur gut, dass es die Literaturkritik gibt, diesen Hort des Faschismus, und auch den Kulturbetrieb, den Coelho stimmig beschreibt, wenn er die „Gefälligkeitsbank“ erläutert oder Gäste eines Kulturevents einteilt in Tupamaros, Talente und Tabletts. In solchen Momenten ist „Der Zahir“ in der Tat merkwürdig interessant. Als Kritiker- und Betriebsbeschimpfer ist Coelho eben viel sympathischer als als ewig Erleuchteter. GERRIT BARTELS

Paulo Coelho: „Der Zahir“. Aus dem Brasilianischen von Maralde Meyer-Minnemann, Diogenes, Zürich 2005, 342 S., 17,90 Euro