Geschichte wird gemacht

Die Hamburger Hafenstraße war einmal. Heute kristallisiert sich der Widerstand im Hamburger Schanzenviertel, wo ein Nobel-Hotel die AnwohnerInnen verdrängen soll. Die Wut ist so groß, das sich die alte Linke aus dem Ruhestand zurückgemeldet hat

von Daniel Wiese

Den Atem der Geschichte gibt es wirklich. Wenn man die Hamburger Hafenstraße lang geht, kann man ihn spüren. Er entströmt einer Reihe bunter Hausfassaden, er kommt aus einer Tür, hinter der im Zwielicht ein Tresen dämmert. An der Tür lehnt ein Mann, sein Pullover hängt fast bis zu den Knien herunter und ist von einem undefinierbaren Grün. „Wer Willi nicht kennt, lebt auf dem Mond“, sagt der Mann, und er muss es wissen, denn Willi, das ist er.

Willi ist einer der letzten Bewohner der Hafenstraße, die schon zu den heißen Zeiten da waren. „1985 war besetzt“, sagt Willi. „Und 1987 war auch noch besetzt.“ Die Hafenstraße, das war eine Schlacht zwischen der Hamburger Linken und dem Hamburger Senat, als die Bürgermeister noch von der SPD waren und Vorscherau und von Dohnanyi hießen. Mehrmals wurden die Häuser geräumt, mehrmals wurden sie wieder besetzt. Erst in den 1990ern wurden Verträge geschlossen. Seitdem ist die Hafenstraße ein selbst verwaltetes Wohnprojekt.

In der Hafenstraße hat die Linke den Kampf gewonnen, aber was ist davon übrig geblieben? Sind es die schweren Türen, gebaut, um sich vor Polizei-Hundertschaften zu verbarrikadieren? Ist es das Plenum, das einmal die Woche tagt und seine Beschlüsse einstimmig fasst? Nackte Glühbirnen stecken in der Decke, die Wände sind bemalt, und aus den Klos dringt ein brackiger Geruch. „Mit Anarchie ist nichts mehr“, sagt Willi und lacht kurz auf. Das Lachen klingt nicht bitter. Eher verwundert, dass es so gekommen ist.

Vielleicht war es so: Einmal träumten sie von der Revolution, und danach mussten die Stromrechnungen bezahlt werden. Willi schüttet ein Bier in seinen struppigen Bart. „Vielleicht solltest du mit anderen reden, die kennen sich besser aus, gerade was das Politische angeht“, sagt er. Vom anderen Elbufer leuchtet der Hafen herüber, der das Geld in die Stadt pumpt, das Geld, das solche Leute wie Willi nicht braucht.

Das Geld ist es, das macht, dass nur wenige Kilometer weiter, im Schanzenpark, schon wieder die Polizei-Mannschaftswagen stehen, mit Polizisten in Kampfuniform, die einen Bauzaun sichern. Der Bauzaun sperrt einen schönen alten Turm ab, es ist ein Wasserturm, und er steht direkt hinter dem Messegelände. Wo eine Messe ist, braucht es Hotels, also soll der Wasserturm ein Hotel werden, mitten im Schanzenpark, dem einzigen Park im Schanzenviertel. Wenn das Hotel da ist, steht zu befürchten, sieht es schlecht aus für die Punks im Park und die Bongospieler und für das Openairkino im Sommer. Dann wollen die Hotelgäste ihre Ruhe.

Der Wasserturm ist so etwas wie die neue Hamburger Hafenstraße. Der Widerstand ist erbittert, fast monatlich gibt es Demonstrationen, fast wöchentlich Verhaftungen und Schlägereien mit der Polizei. Nachdem Steine in Bürofenster flogen, hat sich sogar der „Staatsschutz“ eingeschaltet. Im März wurden Wohnungen durchsucht, die Anklage lautet auf „Bildung einer kriminellen Vereinigung“.

Was sind das für Leute, die erbittert Widerstand gegen ein Projekt leisten, gegen das jeder Widerstand zwecklos scheint? Es sind Leute wie Alexander, 23, Student an der Hamburger Uni, Fächer: nebensächlich. Er könnte, sagt Alexander, sieben Tage die Woche Politik machen. „Vor dem Hintergrund der Entpolitisierung der Gesellschaft wäre das nicht verkehrt.“

Alexander gehört der politisierten Fanszene des Fußballclubs 1. FC St. Pauli an, er ist sogar Mitglied bei „Ultra St. Pauli“, dem politisiertesten Teil dieser Szene. Die Ultra-Leute nehmen regelmäßig an den Wasserturm-Demonstrationen teil. „Politik“, sagt Alexander, sei für ihn, „dass man sehr kritisch begleitet, wie ein ganzer Stadtteil umstrukturiert wird“.

Alexander hat ein freundliches, rundes Gesicht, manchmal kneift er beim Sprechen die Augen zusammen. Kein Problem, sagt er, habe er damit, wenn „eine Weltstadt wie Hamburg“ ihr Messegelände erweitere. Sollte die Erweiterung aber zu einer „Vertreibungspolitik“ führen, Alexander haut die Faust in die flache Hand: „dann wird das exemplarisch angegriffen.“

Und das ist die Strategie: „Wenn man die Umstrukturierungen nicht verhindern kann, muss man sie teuer machen.“ Die Investoren sollen sehen, dass der Widerstand die Kosten in die Höhe treibt, auch nach Abschluss der Bauarbeiten könne man das Hotel „begleiten“, sagt Alexander, während hinter ihm auf dem Campus der Brunnen plätschert. „Das ganze System, der ganze Staat ist gewalttätig. Wir definieren uns als Gegengewalt.“

Alexander ist bereit zu sprechen, weil „Ultra St. Pauli“ sowieso unter Beobachtung steht. Schwerer ist es, an die Kommandoebene zu kommen, die Leute, die den Widerstand organisieren. Die Antworten der linken Szene lauten: „Kenn ich nicht“ (Typ in ärmelloser Weste mit flächendeckendem Arm-Tattoo, der sich wieder dem Computer zuwendet), „Da kommst du nicht rein“ (Frau im Café, die immerhin einen Ordner mit Wasserturm-Flyern angelegt hat).

Klaus spricht dann doch, weil er bereits „in der Presse“ war, Treffpunkt ist eine linke Buchhandlung im Viertel, Hinterzimmer. Klaus gehört zum „Netzwerk für den Erhalt des Sternschanzenparks“, das zwischenzeitlich im „Bündnis gegen Umstrukturierung“ aufgegangen ist. „80 Prozent der Leute, die das machen, hatten sich zur Ruhe gesetzt“, sagt Klaus, der ein rotes Hemd mit einem beigen Querstreifen trägt, das zu verwaschen ist, um modisch gemeint zu sein. Klaus ist 58.

Während die Demonstrationen von einer jungen Antifa-Szene dominiert werden, die sich bei der Polizei leicht Ärger wegen des Vermummungsverbots einhandelt, zieht hinter den Kulissen die alte Linke die Fäden. „Altlinke darf man sagen“, sagt Klaus und lächelt nachsichtig. „Eine Zeitung schrieb einmal über uns: ‚die gefährliche Mischung aus Geschäftsleuten und Autonomen‘. Die haben nicht verstanden, dass das teilweise dasselbe ist.“

Im Schanzenviertel hat die alte Linke sich ihre Existenz aufgebaut. „Damals sind Viertel entstanden, in denen ein stückweit das Leben stattgefunden hat, das man sich vom Sozialismus erhofft hatte“, sagt Klaus. Zwar wird der Bierpreis nicht mehr, wie in einer Kneipe des Viertels geschehen, mit den Gästen ausdiskutiert. Aber wird die Buchhandlung, in deren Hinterzimmer er sitzt, nicht noch immer von einem Kollektiv betrieben?

Im Kampf um das Viertel steht der Wasserturm pars pro toto für einen Verdrängungsprozess, zu dem die steigenden Wohnungspreise gehören und die Vermehrung der Boutiquen und die neue Fußgängerzone mit den schicken Cafés. „Ein stückweit ist das auch ein Abwehrkampf“, sagt Klaus, und dann redet er von den „öffentlichen Räumen“, die immer mehr von Videos überwacht werden.

Die Welt, für die sie gekämpft haben im Hamburger Schanzenviertel, ist im Verschwinden begriffen. Einerseits. Andererseits kommen, seit im Wasserturm gebaut wird, zwischen 500 und 1.500 Teilnehmer zu den Demonstrationen. Und die junge Linke in der „Roten Flora“ nebenan organisiert Soli-Konzerte mit Bands wie Wir sind Helden. Es war 1989, da gehörte Klaus zu denen, die die „Rote Flora“ besetzten.

Vielleicht gibt es doch noch Hoffnung. „Wir sind dabei, neue Möglichkeiten zu diskutieren“, sagt Klaus.