Die Union rechnet mit der Reaktor-Generation 40 plus

Die Konservativen wollen bei einem Regierungswechsel zwar keine neuen Kernkraftwerke bauen, aber zurück in die Zeiten vor dem Atomkonsens – und noch ein bisschen mehr

BERLIN taz ■ Neue Atomkraftwerke wird es in Deutschland nicht geben. Nicht einmal, wenn die CDU im nächsten Jahr die Bundeskanzlerin stellen sollte. „Die Frage nach neuen Atomkraftwerken stellt sich schon allein aus Gründen der betriebswirtschaftlichen Rentabilität und der Akzeptanz in der Bevölkerung nicht“, sagt Peter Paziorek, umweltpolitischer Sprecher der Unions-Fraktion. Konservative Populisten wie Friedrich Merz oder Roland Koch hatten zwar neue Atomkraftwerke gefordert. „Solche Positionen sind in der Union aber nicht mehrheitsfähig“, erklärt Paziorek gegenüber der taz. Wie ernst es CDU/CSU mit dem Neubau-Nein ist, macht Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber deutlich: „Wir brauchen in Deutschland keine neuen AKW.“

Darum allerdings geht es nicht. Sollte die Union die nächste Bundestagswahl gewinnen, wird es einen Ausstieg aus dem Einstieg in den Atomausstieg geben. „Wir werden die Laufzeit der bestehenden deutschen Atomkraftwerke um 8 Jahre verlängern“, kündigt Paziorek an. Dadurch würde jene Situation wieder hergestellt, die vor dem Atomkonsens galt: Die Betreiber rechneten mit 40 Jahren Laufzeit. Andere Umweltpolitiker der Union gehen deutlich weiter. Die baden-württembergische Umweltministerin Tanja Gönner hält etwa eine Laufzeitverlängerung um 18 auf insgesamt 50 Jahre für denkbar: „Die sichersten Atomkraftwerke stehen in Deutschland.“ Egal ob 8 oder 18 Jahre – Paziorek stellt klar, dass Laufzeitverlängerungen „nicht automatisch und natürlich auch nur genehmigungspflichtig zu bekommen sind“. Will heißen: Die Betreiber müssten dafür in die neueste Technik investieren und nachrüsten.

Mit länger laufenden AKW wollen CDU/CSU das deutsche Klimaschutzziel erreichen. „Die Atomkraft spielt in der Klimapolitik der Union eine große Rolle“, so Paziorek. Energieeffizienz und der Ausbau der regenerativen Energien sind die anderen beiden Säulen der Energie- und Klimapolitik der Konservativen – falls sie die Wahlen gewinnen. Natürlich stehe auch die Union zum Kioto-Protokoll, 2 der 21 dort festgeschriebenen Reduktionsprozente fehlen noch. „Diese 2 Prozent sind aber die schwersten“, so Paziorek.

„Beschlusslage der Partei ist, in fünf Jahren 12,5 Prozent des gesamten Stromverbrauches aus regenerativen Quellen zu decken“, sagt Paziorek. Dies sei deckungsgleich mit dem rot-grünen Regierungsziel. Derzeit liegt Deutschland bei 9,5 Prozent. Baden-Württembergs neuer Regierungschef Günther Oettinger (CDU) schlägt vor, den Ausbau erneuerbarer Energiequellen durch längere Laufzeiten der AKW zu finanzieren. „Wir glauben, dass die Kernenergie eine Übergangsenergie ist“, erklärt Oettinger. Durch den Weiterbetrieb könnten die Betreiber einen hohen dreistelligen Millionenbetrag als Gewinn erzielen. Oettinger: „Davon müssen sie die Hälfte für die weitere Entwicklung und den stärkeren Einsatz regenerativer Energiequellen verwenden.“

Die vier großen deutschen Energiekonzerne Eon, RWE, Vattenfall oder EnBW – allesamt AKW-Betreiber – kommentieren solche Überlegungen derzeit nicht. „Wir haben klar den politischen Willen zum Atomausstieg akzeptiert und werden uns daran halten“, erklärt RWE-Konzernsprecher Bill Mac Andrews in Essen. Nahezu wortgenau sind die Antworten in den anderen Firmenzentralen. Immer aber fügen die Konzerne hinzu, dass sie „allerdings den Ausstiegsbeschluss nach wie vor energiepolitisch für falsch“ halten. Was die AKW-Betreiber aber tatsächlich wollen, verriet gestern Klaus Rauscher, Vorstandsvorsitzender von Vattenfall, auf der Jahrestagung Kerntechnik in Nürnberg: „Was 2002 in das Atomgesetz geschrieben wurde, war ein politisch gewollter Ausstieg. In Grundsatzfragen unserer Energieversorgung – und dazu gehören die Kraftwerke – kann man aber nicht aussteigen. Man kann nur umsteigen. Und deshalb wird über kurz oder lang darüber zu reden sein, ob die Restlaufzeiten angesichts des Zeitbedarfs für die Entwicklung eines umweltfreundlichen Kohlekraftwerks ‚richtig‘ festgelegt wurden.“ Wahrscheinlich meint Rauscher: Nach der Wahl 2006.

NICK REIMER