12 Millionen Sklaven

Die Internationale Arbeitsorganisation legt eine Studie zur Zwangsarbeit in der Welt vor: Auch in Deutschland werden 15.000 Menschen ausgebeutet

VON STEPHAN KOSCH

Mindestens 12,3 Millionen Menschen weltweit arbeiten unter Zwang oder sklavenähnlichen Bedingungen. Und das nicht nur in Asien, Afrika oder Lateinamerika, erklärte gestern die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) in Berlin. Auch in Deutschland gibt es Zwangsarbeiter – und vor allem Zwangsarbeiterinnen. Denn zwei von drei der geschätzt 15.000 Betroffenen in Deutschland seien Frauen, sagte Norbert Cyrus, der für die ILO die Zwangsarbeit in Deutschland untersucht hat.

Die Frauen, die häufig unter falschen Versprechungen illegal über die deutsche Grenze gebracht werden und dann ihrer Papiere beraubt werden, droht in der Regel Zwangsprostitution oder andere Arbeit in der Sexindustrie. Rund 60 Prozent der Zwangsarbeit in Deutschland muss in Bordellen oder Nachtclubs geleistet werden, schätzt Cyrus. Doch auch auf dem Bau und in der Landwirtschaft werden – vor allem Männer – zur Arbeit gezwungen.

Ob die Zahl der Betroffenen in den vergangenen Jahren eher angestiegen oder gesunken ist, konnte Cyrus nicht sagen, da Vergleichszahlen zu den vor zwei Jahren erhobenen Daten fehlten. Auch die Frage, ob der umstrittene Visaerlass zu einer Zunahme der Zwangsarbeit geführt habe, sei nicht Gegenstand der Untersuchung gewesen. Cyrus sieht hier keinen direkten Zusammenhang. „Ich konnte nicht feststellen, dass es zu einer erhöhten Ausbeutung gekommen ist.“

Die Erhebung von Daten im Bereich der Illegalität und organisierten Kriminalität sei grundsätzlich problematisch. Auch die genannte Ziffer von 15.000 Zwangsarbeitern in Deutschland ist weniger empirisch belegt als Resultat folgender Hochrechnung: Die Polizei greife rund 1.000 Frauen pro Jahr auf, die illegal eingewandert sind. Da nur etwa jede zehnte Frau von der Polizei erfasst werde, ergebe sich eine tatsächliche Fallzahl von 10.000. Und da zwei Drittel aller Betroffenen Frauen seien, ergibt Cyrus’ Gesamtschätzung 15.000.

Etwas fundierter ist die Datenbasis bei der weltweiten Untersuchung, die die ILO parallel zu den einzelnen Länderstudien erstellt hat. Diese stütze sich auf ein so genanntes doppeltes Stichprobenverfahren, sagte Beate Andrees vom ILO-Büro in Genf.

Die meisten Zwangsarbeiter gibt es danach in Asien – rund 9,5 Millionen Menschen. Grund sei unter anderem die traditionelle „Schuldknechtschaft“ in Indien. In Lateinamerika ermittelte die ILO 1,3 Millionen Menschen in Zwangsarbeit, in Afrika rund eine Million. In den Industrieländern schätzt die ILO die Zahl auf 360.000. Fast die Hälfte aller Ausgebeuteten seien Kinder unter 18 Jahren.

Der finanzielle Gewinn, der mit diesen Menschen gemacht wird, ist enorm: 44 Milliarden US-Dollar, allein 32 Milliarden davon durch den Menschenhandel. Und die illegale Schleusung von Menschen zu horrenden Preisen werde voraussichtlich noch zunehmen. Denn die Globalisierung, so Andrees, habe bestimmte Formen der Zwangsarbeit, vor allem den Menschenhandel, verschärft. Bei den eher traditionellen Formen der Sklaverei hingegen erwartet sie eine Abnahme.

Um gegen die Zwangsarbeit vorzugehen, fordert die ILO langfristige Präventionsprogramme zur Armutsbekämpfung. So könne Migration in legale Bahnen gelenkt werden. Für Deutschland forderte Cyrus, dass Verstöße gegen das Aufenthaltsrecht nicht mehr als Straftat, sondern nur noch als Ordnungswidrigkeit gelten sollen. So verringere sich das Drohpotenzial, mit dem Ausbeuter die Betroffenen vor dem Gang zur Polizei warnen. Dass seit Jahresanfang Menschenhandel stärker bestraft wird, begrüßte die ILO.

Doch sie fordert darüber hinaus Schritte: Für informelle Beschäftigungsverhältnisse, wie zum Beispiel bei Haushaltshilfen, sollten Mindeststandards für Arbeitsbedingungen eingeführt werden. Zudem spricht sich die ILO für eine Ausweitung des Entsendegesetzes über die bereits erfassten Berufe – Bauarbeiter, Maler, Dachdecker – hinaus aus. So soll ausländischen Arbeitnehmern, die in der Bundesrepublik ihre Dienste leisten, der gleiche Lohn wie Deutschen gezahlt werden.