Kitsch trifft Lüsternheit

Cannes Cannes (3): In seinem neuen Film „Hwal“ verleiht Kim Ki-duk den Geschlechterverhältnissen die Unabänderlichkeit eines Naturgeschehens

In meinem gestrigen Bericht aus Cannes habe ich, ich muss es gestehen, ein wenig übertrieben, als ich von den Erfolgen meines Starspottings berichtete. Heute sage ich die Wahrheit: Ich habe Javier Bardem gesehen. Er stand an der Croisette, zwei Assistentinnen redeten auf ihn ein. Er trug ein blaues, lässig sitzendes Jackett und eine helle Hose, unter seinem Arm klemmte ein Schuhkarton. Ein wenig ernüchternd war, wie gut er sich in seine Umgebung einpasste: Ausgezeichnet frisiert, perfekt leger gab sich dieser Mann, der zur Wettbewerbsjury gehört – genau so, wie man eben ausschaut in der Ferienregion französische Riviera, so bald man nicht mehr aufs Geld Acht geben muss. Der satanische Priester aus „Perdita Durango“ war verschwunden, genauso wie der Polizist David aus Pedro Almodóvars „Carne trémula“ oder der kubanische Schriftsteller Reynaldo Arenas aus Julian Schnabels traumwandlerischer Filmbiografie „Before Night Falls“.

Wiedererkennungseffekte anderer Art stellten sich ein, als Kim Ki-duk einen Beitrag zur Un-certain-regard-Reihe beisteuerte. Der südkoreanische Regisseur ist auf vielen Festivals zu Gast. Im Winter 2004 nahm er mit „Samaria“ am Wettbewerb der Berlinale teil, im September 2004 wurde „Binjip“ („Dreikanteisen“) als Überraschungsfilm in den Wettbewerb von Venedig aufgenommen, und nun läuft „Hwal“ („Der Bogen“) in Cannes. Auf einem Boot auf dem Meer leben ein alter Mann und eine junge Frau. Sie hat das Festland nicht betreten, seit der Alte sie vor zehn Jahren bei sich aufnahm. Er will sie heiraten, sobald sie 17 wird; sie weiß nicht, ob sie damit einverstanden ist. Die Figuren schweigen hartnäckig, und ihre Sprachlosigkeit verleiht allem, was auf dem Boot vor sich geht, die Unabänderlichkeit eines Naturgeschehens.

Weil Kim Ki-duk über eine außergewöhnliche visuelle Gestaltungsgabe verfügt, ist er bei Kritikern wie Festivalmachern beliebt. Tatsächlich erweiterte ein Film wie „The Isle“ (2000) das Terrain des Gewohnten, da die klaren, strengen Bilder eine selten zu sehende Ungerührtheit gegenüber dem brutalen Geschehen an den Tag legten. Aber warum kreisen Kim Ki-duks Filme immer wieder so obsessiv um sexuelle Ausbeutungsverhältnisse? Warum müssen die Ausgebeuteten dabei in ihre Ausbeutung einwilligen? Fast überflüssig ist es, zu erwähnen, dass die Ausgebeuteten junge, bildhübsche Frauen sind, die Nutznießer ältere Männer. Ist das eine Art asiatischen Einverständnisses in den unveränderbaren Lauf der Welt? Oder doch eher von Exotismus verschleiertes chauvinistisches Wunschdenken? In einem Interview mit dieser Zeitung hat Kim Ki-duk einmal erklärt: „Meine Filme müssen eher durch ihre Bilder als durch ihre Geschichte verstanden werden. Die gesellschaftliche Unterdrückung der Frau ist in Korea tatsächlich immer noch weit verbreitet. Gesellschaftlich wird das heute kaum noch wahrgenommen, es reicht jedoch weit in unsere Geschichte zurück. Ich muss allerdings zugeben, dass auch ich diesen Umstand manchmal aus purer Unachtsamkeit als gegeben hinnehme.“

In „Hwal“ ist dies der Fall – ähnlich wie in „Bad Guy“ (2002) oder „Birdcage Inn“ (1998). Und die Bilder? Die schwelgen in der Schönheit der Protagonistin (Yeo-reum Han). Nahaufnahmen ihres Gesichts vor strahlend blauem oder verhangenem Himmel strecken den Film, als er längst auf der Stelle tritt. Pittoresk flattern Fahnen, keck sitzt das Mädchen auf einer Schaukel dicht über der Wasseroberfläche, anmutig räkelt es sich im Spiel des Lichts und des Winds. Hier paart sich nicht große Bildintelligenz mit einem zwar harten, doch nüchtern vorgebrachten Stoff; hier paart sich schlicht und einfach Kitsch mit Lüsternheit.

CRISTINA NORD